Dienstag, 23. November 2021

Darf man in Entwicklungsländern investieren?

Wer sein Geld vor zehn Jahren in einen Entwicklungsländer ETF (z.B. iShares MSCI Emerging Markets - EEM) investierte, steigerte den Einsatz um 36 %.  Der S&P 500 hat sich in der gleichen Zeit achtmal besser entwickelt - mit einem passenden ETF wie z.B. SPY konnte man den Einsatz verdreifachen. Warum haben wir trotzdem ca. ein Drittel unserer Gelder in Entwicklungsländern investiert? 

1. Wir halten den US-Aktienmarkt für überbewertet.

Der US-Aktienmarkt macht rund die Hälfte der Börsenkapitalisierung aller Aktienmärkte aus, obwohl der Anteil der US-Wirtschaft nur ein Viertel der Weltwirtschaft ist. Langfristig gilt beim Investieren der "Reversion to the Mean" Effekt, wonach sich die Bewertungen mit der Zeit wieder angleichen. 

2. Die Bedeutung des US-Dollar als Reservewährung wird abnehmen 

Da die USA die Dollarmenge und das weltweite Zahlungssystem SWIFT kontrollieren, sind alle übrigen Länder auf das Wohlwollen der US-Regierung angewiesen. Die chinesische und russische Regierung versuchen, mehr und mehr einer möglichen Erpressbarkeit durch den Abschluss von Handelsgeschäften in anderen Währungen wie dem EURO oder dem Yuan zu entgehen.  Damit fällt die Nachfrage nach US-Dollar. 

3. Die beginnende US-Inflation wird längerfristig den US-Dollar schwächen

Steigende Staatsausgaben in den USA, die durch die Notenbank finanziert werden und gleichzeitig niedrige Zinsen (damit die Defizite bezahlbar bleiben) führen mittelfristig zu einem Abwertungsdruck des Dollars. 

4. Im Gegensatz zu den 90er Jahren haben die Entwicklungsländer im Mittel deutlich weniger Dollarschulden und sind damit stabiler aufgestellt

Die folgende Übersicht der US-Schulden und -Vermögen der wichtigsten Entwicklungsländer (basierend auf der Bank of International Settlement) von 2020 zeigt die Abhängigkeit dieser Länder vom US-Dollar: 





Besonders gut sind Indien, China, Russland und die asiatischen Schwellenländer aufgestellt. Riskanter sind Engagements in Lateinamerika und in der Türkei. 

5. Die Wachstumsraten in den Entwicklungsländern mit Ausnahme von China werden hoch bleiben 

Alle Produkte und Dienstleistungen, die sich am Bedarf der wachsenden Mittelklasse ausrichten, werden überproportional zulegen, wie z.B. Versicherungen oder Vermögensprodukte. 

6. Die Kreditquote in den meisten Entwicklungsländern ist niedrig

Die Verschuldung der privaten Haushalte ist z.B. in Indien mit 30 % nur halb so hoch wie in China. Damit bieten alle Kreditprodukte wie z.B. Hypotheken interessantes Wachstumspotential.

Der Fall unseres türkischen Investment zeigt, dass ein Anlage in Entwicklungsländern mit einem höheren Risiko verbunden sind. Wir hatten vor gut zwei Jahren in eine türkische Versicherung investiert, die Sparanlagen für die wachsende Mittelklasse anbietet.  Die wirtschaftliche Entwicklung der Agesa enttäusche uns nicht: in den letzten fünf Jahren stiegen Buchwert und Umsatz um gut ein Drittel und der Nachsteuergewinn sogar um 73 %. Dabei betrug die Eigenkapitalrendite im Mittel 42 %! Mit Ausnahme von gut  5 % Dividendenrendite p.a. erzielten wir jedoch keinen Wertzuwachs. Der Aktienkurs in Lira verdoppelte sich zwar, aber gleichzeitig halbierte sich die türkische Lira. Ein Machthaber mit Großherrscherallüren, der immer wieder Zentralbanker feuert, um die Zinsen trotz der hohen Inflationsrate so niedrig wie möglich zu halten, führten zu einer entsprechenden Abwertung der Währung.

Bei einer Investition in ein Schwellenland wie Indien muss man die latente Abwertung der Lokalwährung mit einrechnen - wir selbst kalkulieren mit ca. 5 % p.a. Preisverfall der Rupie. Eine Wertanlage in Indien muss eine Rendite von mindestens 15 % p.a. erzielen, damit wir in Euro gerechnet auf unsere Kosten kommen. Um erfolgreich in Entwicklungsländern investieren zu können, sollte man die Makrorisiken im Auge behalten. Erste Anzeichen einer Vertrauenskrise sind Verschlechterungen in der Handelsbilanz, die die Abhängigkeit von Dollarimporten erhöhen, steigende Zinsen im Land und eine sich abschwächende Währung. Ist das Vertrauen zerstört, kann die Kapitalflucht und der Fall der Aktienmärkte sehr plötzlich erfolgen, wie die vielen Krisen in den Entwicklungsländern zeigen. 

Für den Privatanleger ist es sicherlich am einfachsten, dem Portfolio einen Entwicklungsländer ETF beizumischen - vielleicht ohne China mit einzubeziehen, da dieses Land rund ein Drittel der Entwicklungsländer ETFs ausmacht (z.B. iShares EMXC). 

 

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