Montag, 20. Oktober 2025

Fallstudie: Ausflug in den Großanlagenbau

Der Großanlagenbau wirkt auf den ersten Blick planbar – ist es aber oft nicht. Komplexe Verträge, lange Projektlaufzeiten und hohe Materialkosten machen das Geschäft anfällig für Fehler mit großer Hebelwirkung. Diese Fallstudie zeigt, wie sich ein vielversprechender Einstieg ins Gegenteil verkehren kann.

Ein vielversprechender Start

Im Sommer 2004 kauften wir die Firma Langbein + Engelbracht (L+E), die große Anlagen für die Industrie baut. Anfangs lief alles rund: Wir übernahmen Maschinen, die noch nicht ganz fertig waren, aber deren Baukosten von der Vorbesitzerin bezahlt worden waren. Im zweiten Halbjahr konnten wir diese Anlagen dann an Papierfabriken und andere Kunden ausliefern – und so die Einnahmen dafür kassieren.

Ein Knackpunkt beim Kauf: Die Bürgschaften

Die Kunden zahlten einen Teil des Preises schon bei der Bestellung, wollten aber eine Sicherheit dafür, dass sie ihr Geld nicht verlieren, falls die Firma pleitegeht. Auch für die Garantie nach der Lieferung (falls später etwas kaputtgeht) wollten sie abgesichert sein. Die Vorbesitzerin hatte dafür noch persönlich gebürgt.

Wir erklärten, dass wir nicht genau wissen konnten, welche Verpflichtungen aus den alten Aufträgen noch auf uns zukommen. Deshalb wollten wir nur für neue Aufträge die Verantwortung übernehmen – und das hat die Verkäuferin am Ende auch akzeptiert.

Um eine persönliche Rückbürgschaft zu vermeiden, hinterlegten wir für jede neue Bestellung Sicherheiten bei Bank und Kautionsversicherern – eine sogenannte Avallinie. Das dort gebundene Kapital fehlte uns allerdings im laufenden Geschäft.

Neuer Führungsstil, neue Erfolge

Zunächst ließen wir den übernommenen Geschäftsführer gewähren – samt der Extravaganz, seinen Jaguar in der Firmengarage abzustellen. Doch mit der Zeit wurde deutlich, dass nicht genug an der Kostenschraube gedreht wurde. Beim Betriebsrundgang erlebten wir, wie der Geschäftsführer Mitarbeiter lautstark anfuhr, während diese untätig in der Halle standen. Doch die Belegschaft reagierte gelassen – mit dem Sprichwort: „Hunde, die bellen, beißen nicht.“

Wir entschieden uns, die Führung zu wechseln. An einem Wochenende machten wir mit den Bereichsleitern Bewerbungsgespräche für die neue Geschäftsführung. So stellten wir sicher, dass auch die Abteilungsleiter mit dem neuen Chef einverstanden waren. Der neue Geschäftsführer machte seine Sache sehr gut: Er sorgte dafür, dass alle Nacharbeiten ordentlich dokumentiert wurden. Dadurch konnten wir Zusatzleistungen auch wirklich abrechnen, was die Gewinne steigerte. Einige Jahre lief das Geschäft so gut, dass wir sogar schöne Dividenden bekamen.

Das böse Erwachen und die Insolvenz

Doch später, als wir die Firma verkaufen wollten, kam das böse Erwachen: Ein Mitarbeiter hatte einem Kunden eine Anlage aus teurem Edelstahl zugesagt, ohne dass er die Mehrkosten beachtete. Der Kunde bestand auf Edelstahl und wollte keine billigere Lösung akzeptieren. Dadurch entstanden hohe Verluste.

Als der Umsatz weiter zurückging, wurde die Situation immer schlechter, und am Ende mussten wir leider Insolvenz anmelden. Die Lektion: Im Großanlagenbau reicht ein guter Ergebnisbeitrag nicht aus – eine unüberlegte Zusage kann alles kippen.

Erfolgsprinzipien im Anlagenbau

  • Nacharbeiten lückenlos dokumentieren: Sauber erfasste Mehrleistungen lassen sich abrechnen und sind oft die stillen Ergebnistreiber eines Projekts.
  • Vier-Augen-Prinzip bei jeder Zusage: Jede Material- oder Lieferzusage sowie jede Vergabe werden erst gültig, wenn sie ein zweiter Entscheider gegenzeichnet – abgestuft nach klaren Unterschriftsgrenzen.
  • Leise Führung schlägt lautes Auftreten: Nachhaltige Sanierer überzeugen durch Fakten, Disziplin und Respekt, nicht durch Lautstärke.
  • "Buy-in" vor Amtsantritt sichern: Neue Geschäftsführer stellen wir erst ein, wenn alle Bereichsleiter die Personalie mittragen – so ziehen Technik, Vertrieb und Produktion von Beginn an in eine Richtung.

Diese vier Prinzipien senken Kosten, reduzieren Fehlentscheidungen und schaffen die Basis, um auch komplexe Großprojekte profitabel zu steuern.

Nächste Woche unternehmen wir einen Ausflug in die Produktion und den Vertrieb von Küchen!

Montag, 13. Oktober 2025

Fallstudie: Explodierende Kaffeebecher

Projektgeschäft – Chancen und Herausforderungen

Im zweiten Jahr nach der Gründung übernahmen wir vier Unternehmen, die vor allem Aufträge in Einzelfertigung abwickelten. Damals steckte die deutsche Wirtschaft mitten in einer anhaltenden Krise. Besonders im Anlagenbau führten stagnierende Umsätze dazu, dass die Fixkosten vieler Betriebe nicht mehr gedeckt waren – die Verluste stiegen.

Das Projektgeschäft birgt hohe Risiken: Jeder Auftrag muss individuell geplant und kalkuliert werden. Ein kleiner Fehler kann sich teuer auswirken, vor allem wenn wir an feste Zusagen gegenüber Kunden gebunden waren. Die Produktion lässt sich in solchen Fällen kaum automatisieren – dafür kommt es umso mehr auf eine saubere Lagerführung, ein strukturiertes Bestellwesen und gut abgestimmte Abläufe in der Montage an.

Aber das Projektgeschäft hat auch seine Vorteile: Wenn wir die Verlustbringer einmal identifiziert und aus dem System entfernt haben, lassen sich neue Aufträge mit besserer Kalkulation abwickeln. Schon ein kleiner Anstieg im Auftragseingang kann ausreichen, um wieder deutlich profitabel zu werden. Und weil die Fertigung meist mit einfachen Mitteln auskommt, braucht es kaum neue Investitionen. Der vorhandene Maschinenpark lässt sich lange nutzen – was nach Material- und Personalkosten übrig bleibt, ist dank der niedrigen Abschreibungen Gewinn.

Rückblickend war der Einstieg in das Projektgeschäft für uns eine wertvolle Schule. Hohe Risiken, aber auch schnelles Lernpotenzial und große Hebel – wenn wir bereit sind, konsequent zu führen und auf Details zu achten.

Fallstudie: Explodierende Kaffeebecher

Manchmal beginnt eine Sanierung mit einem 5-Mio.-Euro-Scheck – und endet mit einem Kaffeebecher, der sich selbst erhitzt. Diese Fallstudie zeigt, wie technischer Mut, klare Führung und harte Verhandlungen ein fast gescheitertes Projektgeschäft doch noch zum Erfolg führen können.

Gut ein Jahr nach unserer Gründung übernahmen wir die Firma Hamba. Sie stellte Verpackungsmaschinen her, also zum Beispiel Maschinen, die Becher befüllen und verpacken. Die Firma erzielte rund 30 Mio. € Umsatz – bei knapp 10 Mio. € Verlust!

Wir zahlten den symbolischen Euro, doch damit nicht genug: Wir erhielten zusätzlich einen Scheck über 5 Mio. € – allerdings lautete der 5-Mio.-Euro-Scheck auf die Gesellschaft, nicht auf uns persönlich. Entspannt zurücklehnen konnten wir uns also noch lange nicht.

Der Verpackungsmaschinenhersteller hatte in seinem Expansionsdrang Aufträge angenommen, die zuvor niemand erfolgreich umsetzen konnte. Die Vorbesitzerin war erleichtert, diese Verpflichtungen endlich loszuwerden. Eines der ehrgeizigsten Projekte war eine Maschine, die Kaffeebecher herstellen und befüllen sollte, die sich auf Knopfdruck selbst erhitzen konnten!

Mut zur Veränderung: Von alten Maschinen zu neuer Technik

Um die Firma wieder auf die Beine zu bringen, haben wir einen neuen Geschäftsführer eingestellt. Er war Maschinenbauingenieur und hatte vorher bei einer Unternehmensberatung gearbeitet. Seine Aufgabe war es, mit den Kunden zu verhandeln und unrealistische Versprechen aus der Vergangenheit loszuwerden. Ein Vorteil war dabei, dass wir nun unabhängig von der alten Mutterfirma waren und die Bilanz – also alles, was die Firma besitzt und schuldet – nicht mehr so groß war. Dadurch waren wir flexibler in den Verhandlungen.

Nach den Verhandlungen hatten wir zwar weniger Umsatz, aber auch deutlich weniger Verluste. Am Ende haben wir es geschafft, bei plus/minus Null rauszukommen.

Allerdings gab es immer noch ein Problem: Die Maschinen waren technisch veraltet. So wurden alle Verpackungsvorgänge über eine große mechanische Welle gesteuert. Das machte sie anfällig für Fehler und die Montage war dadurch schwierig und aufwändig.

Deshalb suchten wir nach einer neuen Lösung. In der Entwicklungsabteilung fanden wir eine Zeichnung für eine moderne Maschine, die mit elektrischen Sensoren und Modulen arbeiten sollte – also viel moderner und flexibler. Die Techniker waren erst skeptisch, ob das überhaupt funktionieren würde. Trotzdem entschieden sich der neue Geschäftsführer und der technische Leiter, das Risiko einzugehen und die neue Technik auszuprobieren. Sie arbeiteten dafür auch mit externen Entwicklern zusammen.

Der erfolgreiche Turnaround

Nach gut zwei Jahren war es geschafft: Die neue Technologie funktionierte, und wir verkauften die erste Anlage an einen Joghurthersteller. Die Investition zahlte sich aus – schließlich veräußerten wir Hamba für rund 18 Mio. € an einen Wettbewerber. Das war unser erster großer Turnaround-Erfolg.

Nächste Woche schildern wir unseren ersten Ausflug in den Großanlagenbau und was dabei schieflief.


Sonntag, 5. Oktober 2025

Fallstudie: Wie wir uns auf eine mögliche Insolvenz vorbereiten – Ein Praxisblick

Wenn wir ein Unternehmen praktisch „geschenkt“ bekommen, droht oft schon bald die Pleite – vor allem, wenn wir nichts ändern und die alte Geschäftsführung weitermacht wie bisher. Das größte Problem ist fast immer die Liquidität: Auf dem Konto fehlt schlicht das Geld, um alle Rechnungen zu bezahlen. Deshalb muss die neue Geschäftsleitung von Tag 1 an genau verfolgen, wie viel Geld täglich hinein- und hinausfließt.

Liquidität permanent im Blick

In der Startphase arbeiten wir mit rollierenden Sechs-Wochen-Plänen und projizieren jede Woche den Cash-Bedarf für die kommenden sechs bis zwölf Monate. Dabei kalkulieren wir realistisch, aber nicht übertrieben pessimistisch: Ohne frische Bestellungen läuft bei einem Maschinenbauer der Auftragsbestand aus – dann fehlen Deckungsbeiträge, während die Fixkosten weiterlaufen.

Rechtliche und finanzielle Risiken nach einer Insolvenz

Neben finanziellen Verlusten birgt eine Insolvenz auch rechtliche Risiken – vor allem, wenn Zahlungen an Gesellschafter oder Geschäftsführung nicht eindeutig dokumentiert oder vertraglich abgesichert sind.

Zahlungen ohne Vertrag

Der Insolvenzverwalter untersucht zuerst alle Geldflüsse, die an Gesellschafter oder Geschäftsführung geflossen sind, und legt darüber dem Gericht ein Gutachten vor. Fehlt eine eindeutige vertragliche Grundlage – etwa ein schriftlicher Beratungs- oder Geschäftsführervertrag – können solche Überweisungen zurückgefordert werden. Im schlimmsten Fall steht sogar der Vorwurf der Untreue im Raum.

Wir haben das einmal teuer gelernt: Beim ersten 1-€-Deal zahlten wir uns eine Management Fee aus, ohne sie sauber zu vereinbaren. Der Insolvenzverwalter verlangte das Geld zurück, und ein strafrechtliches Verfahren wurde nur mit viel Aufwand eingestellt. Seitdem schließen wir für jede Honorierung einen ausführlichen Vertrag ab – Leistungsumfang, Vergütung, Fälligkeit und Kontrollrechte klar geregelt.

Fristgerechter Insolvenzantrag

Nach deutschem Recht muss die Geschäftsführung spätestens drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung Insolvenz beantragen.

  • Zahlungsunfähigkeit liegt in der Praxis vor, wenn mindestens zehn Prozent der fälligen Verbindlichkeiten nicht mehr beglichen werden können und keine kurzfristige Besserung absehbar ist.
  • Überschuldung ist gegeben, wenn das Vermögen geringer ist als die Schulden und keine positive Fortführungsprognose besteht.

Versäumt die Geschäftsführung diese Frist, drohen persönliche Haftung und strafrechtliche Konsequenzen. Darum engagieren wir in kritischen Phasen immer einen auf Insolvenzrecht spezialisierten Anwalt, der uns tagesaktuell begleitet und jede Stundungsvereinbarung schriftlich fixiert.

Unser Grundsatz lautet: Lieber einen Tag zu früh als zu spät – schon um den Insolvenzverwalter nicht von Beginn an gegen uns aufzubringen.

Gesellschafterdarlehen und Rangrücktritte

Konzerne finanzieren Tochtergesellschaften häufig über Gesellschafterdarlehen. Beim Carve-out übernehmen wir solche Kredite oft mit. Gefährlich wird es, wenn wir Darlehen während der Krise zurückführen oder in Eigenkapital umwandeln, ohne die richtige Reihenfolge der Beschlüsse einzuhalten. Rückzahlungen, die nicht klar nach Rangrücktritt oder Kapitalherabsetzung erfolgen, fechtet der Insolvenzverwalter regelmäßig an. Deshalb achten wir darauf, dass zunächst das Stammkapital ordnungsgemäß angepasst wird, bevor ein Gesellschafterdarlehen zurückgeführt wird.

Wann kehrt endlich Ruhe ein?

Nach den ersten hundert Tagen kehrt endlich Ruhe ein: Die Liquidität reicht wieder, Lieferanten liefern ohne Vorkasse, und das Team hat Vertrauen gefasst. Jetzt stellt sich die größere Frage: Wollen wir weiter Feuerlöscher spielen – oder ein skalierbares Sanierungsmodell aufbauen, das Krisenfälle systematisch in stabile Betriebe verwandelt?     

Nächste Woche mehr dazu!


Samstag, 27. September 2025

Fallstudie: Modeschau in Düsseldorf

Im Sommer 2003 übernahmen wir Louis Féraud, eine traditionsreiche Luxusmarke, von der Escada-Gruppe. Der symbolische Kaufpreis betrug einen Euro; als Anlaufhilfe stellten uns die Verkäufer rund zwei Millionen Euro Liquidität zur Verfügung. Auf dem Papier schien das Geschäft verlockend. Doch schon die ersten Kennzahlen ließen erahnen, wie schwer die Aufgabe werden würde: Bei gut vierzig Millionen Euro Umsatz verlor das Unternehmen jährlich rund zehn Millionen.

Mein erster Eindruck: Stil über Substanz

Bereits mein erster Rundgang durch die Düsseldorfer Zentrale machte deutlich, warum. Das Büro des Fashion-Direktors war stilvoll ganz in Weiß gehalten – von den Möbeln über den Teppich bis zur Orchidee auf dem Schreibtisch. Während ich auf ihn wartete, debattierte er mit seinem Team leidenschaftlich darüber, ob die kommende Kollektion in Smaragd- oder Moosgrün erscheinen solle. Niemand sprach über Margen, Liefertermine oder Liquiditätsbedarf.

Das gleiche Bild zeigte sich später im Münchner Flagship-Store in der Theatinerstraße. Zwei Verkäuferinnen vertrieben sich die Zeit im leeren Laden, und selbst ein üppiger Hausrabatt überzeugte meine Frau nicht, ein Kleidungsstück zu kaufen. Féraud strahlte nach außen noch Grandezza aus, doch ihre Kollektionen wirkten altbacken; die Marke hatte den Anschluss an moderne Kundinnen verloren.

Die tückische Mechanik der Modebranche

Als wir tiefer einstiegen, lernten wir die tückische Mechanik des Geschäfts kennen. Eine neue Kollektion wird bis zu 18 Monate vor der Auslieferung entworfen und zwölf Monate im Voraus bei asiatischen Lieferanten in Auftrag gegeben. Diese fordern Bürgschaften oder hohe Anzahlungen – und Banken stellen angeschlagenen Modehäusern solche Garantien nur ungern aus. Damit saß Féraud in der klassischsten aller Zwickmühlen: Ohne frische Ware keine Kundschaft, ohne Banklinien keine frische Ware.

Ein verhängnisvoller Sparkurs

Unser Sanierungsplan setzte auf schnelle Kostensenkung: Wir kappten fast das gesamte Marketingbudget, sagten Events ab, verschlankten die Kollektionserstellung und reduzierten unsere Overhead-Kostenbasis um rund zehn Millionen Euro. Die Fixkosten für Mieten, Personal und Produktion blieben jedoch hoch – und der Sparkurs ging zulasten des Luxusimages. Jede abgesagte Modenschau raubte Féraud Strahlkraft, die Kreativität erlahmte, die Kollektionen verblassten – die Umsätze sanken schneller, als die Einsparungen greifen konnten.

Hinzu kam der wachsende Wettbewerb aus dem E-Commerce: Immer mehr Kundinnen bestellten Designermode online; im stationären Handel konnten sich inzwischen fast nur noch echte Luxusmarken profitabel halten.

Das schnelle Ende

Nach wenigen Monaten war klar, dass unsere Finanzreserve aufgebraucht sein würde, lange bevor die nächste Kollektion nennenswert Cash in die Kasse spülen konnte. Wir meldeten Insolvenz an. Es blieb bei einem kurzen Gastspiel in der Haute Couture.

Kurz zusammengefasst: die Lektionen von Féraud

  • Lange Vorfinanzierungen: Die Modebranche verlangt hohe Vorinvestitionen. Ohne sichere Bankgarantien ist ein Turnaround kaum zu stemmen.
  • Der Sparkurs als Sargnagel: Reiner Sparkurs zerstört bei Luxusmarken oft gerade das, wofür Kundinnen zahlen – das Image und die Strahlkraft.
  • Überflüssige Marken: Viele Marken sind schlicht überflüssig geworden. Dem Weggang der Kaufkraft ins Internet konnte der stationäre Handel kaum noch entgegenwirken.

Manchmal ist eine Insolvenz unvermeidbar. Nächste Woche beantworten wir die Frage: Wie bereiten wir uns am besten darauf vor?


Samstag, 20. September 2025

Fallstudie: Können wir jedem Schwaben vertrauen?

Wir wollten glauben, was wir sahen: ein bodenständiger Maschinenbauer, der sein Lebenswerk übergeben wollte. Doch wie so oft bei 1-€-Deals zeigte sich beim folgenden Fall erst nach der Unterschrift, was wirklich im Unternehmen steckte – und was nicht.

Der schwäbische Unternehmer und sein Lebenswerk

Der Inhaber eines mittelständischen Maschinenbauunternehmens, spezialisiert auf Biegemaschinen für Metallbleche, machte auf uns sofort einen soliden Eindruck: sparsam, sachlich, diszipliniert. Eben so, wie wir uns einen klassischen schwäbischen Unternehmer vorstellen. Auch das persönliche Treffen verlief angenehm. Beim Abendessen mit ihm und seiner Frau, einer Ärztin, vermittelte das Paar den Eindruck von Bodenständigkeit, Integrität und einer über Jahrzehnte hinweg geführten, stabilen Firma.

Ein 1-Euro-Deal mit versteckten Lasten

Wir erwarben das Unternehmen für einen symbolischen Euro – auf den ersten Blick ein sehr gutes Geschäft. Allerdings verpflichteten wir uns, einen Kredit in Höhe von 2 Millionen Euro über mehrere Jahre zu tilgen, den der Unternehmer seiner eigenen Firma gewährt hatte. Er zeigte uns stolz eine Excel-Tabelle: Seit 10 Jahren, so sagte er, hätte die Firma jedes Jahr 1 Million Euro Gewinn gemacht – bei gleichbleibendem Umsatz von 10 Millionen Euro. Nur in den letzten beiden Jahren gab es kleinere Verluste.

Die verborgene Wahrheit

Wir erinnerten uns noch, dass uns beim Kauf der Hering Wärmetauscher die Verkäuferin am Ende gefragt hatte, ob wir nicht einen Job für ihren Ehemann hätten. Wir stellten ihn dann als Geschäftsführer in dieser neuen Firma ein. Sein erster Arbeitstag begann mit einer Überraschung: Als er die Schreibtischschublade in seinem neuen Büro öffnete, kamen ihm stapelweise Rechnungen entgegen – alle ungebucht. Der frühere Besitzer hatte die Firmenpost persönlich geöffnet und Rechnungen nur dann an die Buchhaltung weitergeleitet, wenn genügend Geld in der Kasse war.

Nicht ganz so überrascht waren wir, als wir erfuhren, dass der alte Chef kurz vor dem Verkauf seinen Porsche für nur einen Euro aus der Firma „gekauft“ hatte. Wir hätten den Vertrag anfechten oder neu verhandeln können, entschieden uns aber, es trotzdem zu versuchen und die Firma zu retten.

Unverkäufliche Maschinen und der Weg in die Insolvenz

Kurz darauf merkten wir, dass vier große Maschinen gebaut worden waren, ohne dass es überhaupt Kunden dafür gab. Angeblich waren sie nur zur „Vorführung“ gedacht, aber eigentlich sollte so das Betriebsergebnis schöner aussehen, als es wirklich war. Die bilanzierte Leistung verbesserte zwar das Ergebnis, erklärte aber auch den hohen Liquiditätsbedarf in der Vergangenheit. Da die Maschinen keine Kundenvorgaben erfüllten, blieben sie unverkäuflich. Ohne nennenswerten Auftragseingang und mit knapper Liquidität mussten wir wenig später die Insolvenz anmelden.

Warum die Sanierung scheiterte:

  • Geschönte Erfolgszahlen: Ungebuchte Rechnungen verdecken ein akutes Liquiditätsloch.
  • Nachträgliche Kaufpreisraten (Earn-outs / Verkäuferdarlehen): Sie belasten den Cashflow und mindern die Exit-Perspektive.
  • Das Betrugsrisiko steigt in Krisen und bei Privatverkäufen: Es fehlen wirksame Kontrollmechanismen.
  • 1-€-Privatübernahmen haben deutlich weniger Liquiditätspuffer als Carve-outs aus Konzernen.

Lektion: Prüfe bei 1-€-Deals die Liquidität besonders sorgfältig – versteckte Verbindlichkeiten können dich ruinieren. Im Zweifel: nachverhandeln oder vom Vertrag zurücktreten.

In einer Woche beschreibe ich, wie wir mit unserer vierten Übernahme Schiffbruch in der Modebranche erlitten.

Sonntag, 14. September 2025

Fallstudie: Geld wechseln mit Wärmetauschern?

Manche Investitionen erfordern von uns viel Geduld. Die folgende Geschichte über Hering Wärmetauscher zeigt, wie viel Ausdauer, Improvisation und Führungskraft nötig sind, um ein kleines Industrieunternehmen aus der Verlustzone zu holen.

Ein ungewöhnlicher 1-Euro-Deal

Im Sommer 2003 bekamen wir zum ersten Mal Besuch in unserem Büro. Eine selbstbewusste Dame machte uns ein ungewöhnliches Angebot: Wir sollten ihre Firma in Gunzenhausen für einen symbolischen Euro übernehmen. Außerdem wollte sie uns noch 200.000 Euro in der Firmenkasse lassen. Die einzige Bedingung war, dass das Unternehmen mindestens ein Jahr weiter existiert. 

Warum das Ganze? Die Frau wollte sicherstellen, dass ein ungenutztes Grundstück, das sie an einen Supermarkt verkaufen wollte, rechtlich sauber aus der Firma herausgelöst werden konnte. Falls die Firma pleitegehen würde, hätte der Insolvenzverwalter sonst versucht, das Grundstück zurückzufordern. Zum Glück reichte ihr unser Ehrenwort, dass wir die Firma ein Jahr lang weiterführen.

Ein alter Studienkollege als Retter in der Not

Die Hering Wärmetauscher AG erwirtschaftete damals nur rund 7 Millionen Euro Umsatz, verlor dabei jedoch jedes Jahr etwa 1 Million Euro – kein leichter Startpunkt für uns. Wir setzten einen alten Kollegen aus dem BWL-Studium als Geschäftsführer ein. Er kannte sich zwar nicht mit Wärmetauschern aus, aber die Mitarbeiter vertrauten ihm. Trotzdem war die Lage so schlecht, dass wir den Angestellten zeitweise fast zwei Monatsgehälter schuldeten. Wie haben wir es trotzdem geschafft? 

Mein Studienfreund schaffte es, die Produktion von ungefähr 80 Wärmetauschern im Jahr besser zu organisieren, sodass die monatliche Ausbringung konstanter wurde. Das half dabei, das Umlaufvermögen zu glätten und Spitzen im Kapitalbedarf zu verringern. Außerdem verhandelte er bessere Verträge und vermietete einen Teil der Produktionshalle weiter, was zusätzlich Geld einbrachte. Wir veräußerten das Werkgelände per Sale-and-Lease-back und nutzten die freigesetzte Liquidität, um die Löhne pünktlich auszuzahlen.

Das Problem der Einzelanfertigung

Ein weiteres Problem war, dass jeder Wärmetauscher individuell nach Kundenwunsch gefertigt wurde. Diese Sonderanfertigungen machten alles sehr teuer, und die Firma kam nie wirklich in die Gewinnzone. Erst viele Jahre später, nach mehreren Wechseln in der Geschäftsführung, fanden wir mit Christian Rasch den richtigen Geschäftsführer für die Hering AG. Dank strafferen Managements und der Konzentration auf den Einsatz von Wärmetauschern im Großkraftwerksbau gelang es ihm nach und nach, die operative Gewinnmarge (EBIT) auf stattliche 15 % zu steigern!

Wachstum am Limit

Leider stagnierte der Umsatz in der Zwischenzeit nahezu vollständig. Ein begrenzender Faktor war der Kran in der Produktionshalle, der keine höheren Traglasten bewältigen konnte. Der geplante Neubau einer zusätzlichen Halle scheiterte ebenfalls – es fehlte schlicht an ausreichend qualifizierten Schweißern. Zwar erhielten wir zahlreiche Anfragen für größere Wärmetauscher, aber unsere Kapazitäten reichten einfach nicht aus, um diese Aufträge umzusetzen.

Warum der Turnaround bei Hering Wärmetauscher stockte
  • Einzelfertigung großer Wärmetauscher: Kaum Skaleneffekte, hohe Stückkosten.
  • Kleine Serien: Preisdruck durch die Einkaufsmacht der Kunden.
  • Häufig wechselnde Spezifikationen: Hoher Rüstaufwand, der die Marge drückte.
  • Fehlende qualifizierte Zulieferer: Weitere Kostennachteile.
  • Hallen- und Kranlimit (Traglast max. 10 t): Auftragsgröße gedeckelt, Wachstum blockiert.

Der Erfolg liegt oft im Fokus und in der Kunst, 'Nein' zu sagen. Gerade bei begrenzten Ressourcen ist das essenziell, um Ziele zu erreichen. Ein gutes Beispiel dafür ist unser Hauptkonkurrent: Anstatt sich auf große Wärmetauscher zu konzentrieren, wie wir es taten (wir verkauften die Hering letztes Jahr), setzte er auf die Produktion von Kleinserien – und das an einem kostengünstigeren Standort. So konnte er mit einem anderen Ansatz erfolgreich sein. 

In einer Woche beschreibe ich, wie wir mit unserer dritten Übernahme hinters Licht geführt worden sind.

Dienstag, 9. September 2025

Beyss: Warum unser erster 1-Euro-Deal scheiterte

Am Tag nach der Übernahme saß ich allein im Büro – mit den Schlüsseln auf dem Tisch und der Verantwortung für 130 Mitarbeitende. Diese Fallstudie zeigt, was bei einem 1-Euro-Deal alles schieflaufen kann.

Der 1-Euro-Kauf mit Zuschuss

Im April 2003, nur vier Monate nach der Gründung unserer Firma, kauften wir den Anlagenbauer für einen symbolischen Euro. Beyss stellte Waschanlagen für Getriebeteile in der Automobilindustrie her. Mit 30 Millionen Euro Jahresumsatz in der Vergangenheit schien das Unternehmen eine Basis zu haben, doch der Ausblick war düster.

Um die Verluste abzufedern, handelten wir einen Zuschuss von 1,6 Millionen Euro mit dem Verkäufer aus – eine Schließung wäre für ihn noch teurer gewesen. 

Plötzlich allein für 130 Mitarbeiter verantwortlich

Voller Tatendrang stand ich am ersten Tag nach der Übernahme mit einer Liste von Verbesserungsideen im Büro des Geschäftsführers. Doch bevor ich überhaupt anfangen konnte, drückte er mir die Firmenschlüssel in die Hand – zusammen mit seiner Kündigung. Er fürchtete wohl, künftig an seinen eigenen Ankündigungen gemessen zu werden.

Später erfuhr ich, dass Geschäftsführer Boni für eine positive Darstellung des Unternehmens in Präsentationen erhalten. Das soll verhindern, dass sie sich zu früh auf die Seite des Käufers schlagen und bei der Senkung des Kaufpreises mitwirken. 

Da saß ich nun allein in seinem dunkel getäfelten Büro und fragte mich: „Was jetzt?“ Ob mir damals die Tränen in den Augen standen, weiß ich nicht mehr. Plötzlich war ich für 130 Menschen verantwortlich. Als Kaufmann hatte ich nur selten eine Produktionshalle betreten, und nun schaute ich auf große, laute Maschinen. Mein Geschäftspartner, der in München geblieben war, konnte mir aus der Ferne auch keinen schnellen Rat geben. Im Hotelzimmer am Abend wurde meine Entscheidung klar: Ich musste versuchen, das Unternehmen als Geschäftsführer selbst zu retten!

Die ernüchternde Bilanz

Ich bat den Controller, eine monatliche Cashflow-Planung zu erstellen. Die Ergebnisse waren ernüchternd: Das Unternehmen hatte nur noch wenige Monate zu leben.

Wir verlegten die täglichen Management-Meetings auf 7 Uhr morgens, während mein Vorgänger erst um 9 Uhr angefangen hatte. Wir bauten die Rückstände schrittweise ab und lieferten die Maschinen schneller aus. Das verbesserte unseren Cashflow merklich.

Der nächste Schock kam beim Blick in die Bilanz: Es gab viel zu wenig Eigenkapital. Die Betriebsimmobilie war als „Kaufpreis“ im Besitz der alten Gesellschaft geblieben. Alle anderen Vermögenswerte und Schulden – inklusive der 1,6 Millionen Euro auf einem neuen Konto – waren in eine neue Gesellschaft überführt worden, die wir für einen symbolischen Euro übernommen hatten. Trotz des gut gefüllten Kontos lag das Eigenkapital wegen der vielen offenen Lieferantenrechnungen bei nur 50.000 Euro. Das reichte angesichts der laufenden Verluste nur noch für wenige Tage.

Ohne eine schnelle Trendwende hätte ich nach drei Wochen Insolvenz anmelden müssen, sonst hätte ich persönlich für neue Schulden gehaftet.

Nachverhandlungen, um die Firma zu retten

Mithilfe eines Anwalts aus München fanden wir einen Weg: Die Verkäuferin hatte beim Verkauf nicht abgewartet, dass die 30-tägige Frist für Mitarbeiterwidersprüche abgelaufen war. Die Mitarbeiter konnten dem Übergang noch widersprechen. Im Gespräch mit dem Betriebsrat wurde klar: Nur so ließen sich Arbeitsplätze oder Abfindungen sichern. Die alte Gesellschaft war weiterhin verpflichtet, die Verluste auszugleichen.

Die Verkäuferin steckte in der Klemme: Die Maschinen und Vorräte waren schon übertragen. Ein ganzer Monat verging, bis wir eine Einigung fanden. Wir hatten uns verpflichtet, alle Mitarbeiter zu übernehmen, aber ohne Stellenabbau war das Unternehmen nicht zu retten. Unser Plan sah eine Reduzierung auf 60, später sogar auf 40 Mitarbeiter vor. Die Auftragslage von circa 7 Millionen Euro gab nicht mehr her. Kurz vor Fristende stimmte die Verkäuferin zu, die Abfindungen zu übernehmen. Die meisten Angestellten wechselten zur neuen Gesellschaft.

Falsche Mitarbeiter entlassen und wertvolles Wissen verloren

Die Leiter der Entwicklung und des Vertriebs entschieden sich dagegen, nahmen die Abfindungen an und wechselten zur Konkurrenz. Das passiert oft: Während eines Verkaufs nutzen gerade die qualifiziertesten Mitarbeiter die Chance, sich neu zu orientieren. Der Wiederaufbau des Vertriebs zog sich länger hin als gedacht. Rückblickend mussten wir feststellen, dass wir die falschen Mitarbeiter entlassen hatten. Wir wollten die Fertigung auslagern und das Engineering-Know-how behalten. Aber wir unterschätzten, wie viel Praxiswissen in der Montagehalle steckte – die erfahrenen Facharbeiter fehlten nun.

Die Vergabeprozesse der Autohersteller wurden immer komplexer, die Fristen für die Fertigung immer kürzer. Wir mussten oft halbfertige Konstruktionszeichnungen in die Produktion geben, weil schlicht die Zeit fehlte, sie zu vollenden. Die Fachkräfte in der Halle wussten aus der Praxis, wie die fertigen Anlagen am Ende aussehen mussten. Die Anlagendokumentation wurde extern vergeben, um die letzten 10 % der Auftragssumme zu sichern. Das war ein Fehler: Wertvolles Wissen ging in der Entwicklungsabteilung verloren und es schlichen sich Fehler in die Unterlagen ein. Alle Aufträge konnten nur mit viel Nacharbeit abgeschlossen werden.

Der gescheiterte Turnaround

Fünf Jahre später meldete das Unternehmen Insolvenz an – inzwischen unter einem anderen Eigentümer. Wir hatten Beyss bereits ein Jahr zuvor für einen symbolischen Euro an den Geschäftsführer verkauft. Trotz vieler Wechsel in der Führung schaffte es niemand, das Unternehmen dauerhaft in die Gewinnzone zu bringen. Am Ende war die Substanz durch den Personalabbau und die vielen Eigenkündigungen so weit ausgeblutet, dass ein Turnaround nicht mehr möglich war.

Lehren aus dem Beyss-Deal:

  • Schlüsselkräfte im Vertrieb kündigten: Der Auftragseingang brach ein.
  • Mangelnde Dokumentation, Know-how im Engineering: Es gab Qualitätsprobleme und teure Nacharbeiten.

Die wichtigste Lektion: Gerade kleine Unternehmen hängen stark vom Wissen, den Kontakten und der Motivation weniger Schlüsselpositionen ab. Ohne einen passenden Geschäftsführer und engagierte Fachkräfte scheitert jede Sanierung.

In einer Woche beschreibe ich, wie unsere zweite Übernahme, ebenfalls ein Anlagenbauer, nach vielen Anläufen und Geschäftsführerwechseln fast zwei Jahrzehnte später doch noch zum Erfolg führte.












Donnerstag, 21. August 2025

Quálitas Controladora: Buffett-Check bestanden?

Quálitas Controladora ist der führende Kfz-Versicherer in Mexiko. Das Unternehmen verbindet eine starke Marktstellung mit konsequentem Kostenfokus und solider Kapitaldisziplin. Mit rund 33 % Marktanteil, 52 % Familienanteil, einem KGV von rund 11, einer Dividendenrendite um 6 % sowie einer Schaden-Kosten-Quote (Combined Ratio) um 90 % – einschließlich der Start-up-Märkte – erfüllt das Unternehmen unsere Investitionskriterien.

Rückblickend waren die Gewinne der letzten fünf Jahre insgesamt ohne nennenswertes Wachstum – vor allem aufgrund anhaltenden Preisdrucks im Heimatmarkt. Gleichwohl blieb die Profitabilität bemerkenswert: Im Mittel lag die Eigenkapitalrendite bei etwa 23 %, der Buchwert stieg um 7,5 % p. a. Rechnen wir konservativ ohne Dividendenerhöhungen, ergibt sich aus Dividende (~6 %) und Buchwertwachstum eine erwartbare jährliche Rendite von rund 12,5 %. Das ist eine solide Ausgangsbasis, auch wenn das Gewinnniveau zuletzt stagniert hat.

Entscheidend ist der Blick nach vorn. Nach der Covid-Delle sehen wir mehrere Argumente für wieder zunehmendes Ergebniswachstum: Q1/2025 startete mit +12 % Prämienwachstum, +17,8 % verdienten Prämien und einer Schaden-Kosten-Quote von 88,2 % – deutlich unter dem langfristigen Zielkorridor. Die Schadenquote lag konzernweit bei 59,7 %, in Mexiko bei 58,2 %; der Bestand erreichte mit rund 5,9 Mio. versicherten Einheiten einen neuen Höchststand. Das Management erwartet für 2025 Prämienwachstum im hohen einstelligen bis niedrigen zweistelligen Bereich und eine Schadenquote innerhalb von 62–65 %.

Das Geschäftsmodell verfügt über deutliche Burggräben (Moats):

  • Marktführerschaft und Marke in einem skalengetriebenen Geschäft,

  • das größte Agentennetzwerk des Landes,

  • vertikale Integration (eigene Reparaturkapazitäten sowie Glas-/Teile-/Telematik-Wertschöpfung), die Kosten senkt und Kundenzufriedenheit erhöht,

  • hohe Verhandlungsmacht gegenüber Zulieferern.

Die Wachstumschancen bleiben intakt. Nur etwa ein Drittel aller Autos in Mexiko ist versichert – trotz gesetzlicher Pflicht. Langfristig kann der Markt deutlich wachsen, wenn Versicherungsdurchdringung und Kreditpenetration zunehmen. Darüber hinaus expandiert Quálitas nach Kolumbien und stärkt durch Zukäufe in der Teile- und Reparaturkette seine Position.

Risiken sind klar benennbar: Das Geschäft ist an den mexikanischen Autozyklus gekoppelt; sinkende Neuwagenverkäufe oder steigende Schadenhäufigkeit wirken direkt auf die Ergebnisse. Anders als manche internationale Wettbewerber nutzt Quálitas weniger Rückversicherung und trägt damit mehr Risiko selbst. Zudem bleibt das makroökonomische Umfeld verhalten (BIP-Wachstum meist 1,5–3 %), und die Durchsetzung der Versicherungspflicht ist schwach.

Kapitalanlage und Bilanz bleiben bewusst konservativ (überwiegend festverzinsliche Anlagen mit einer durchschnittlichen Laufzeit von knapp zwei Jahren) und liefern einen stabilen Ertragsbeitrag. Zum Vergleich: Die Eigenkapitalquote liegt bei Quálitas bei rund 22 %; bei großen europäischen Multiline-Versicherern (z. B. Allianz mit 6 %) ist sie viel niedriger.

Einordnung: Der Versicherer erinnert in seiner Ausrichtung an GEICO im Portfolio von Warren Buffett. Wir halten derzeit knapp 3 % unseres Kapitals in der Position.

Mittwoch, 6. August 2025

Kein Nullwachstum: Wie wir Rente, Klima und Löhne sichern

Warum Nullwachstum attraktiv erscheint:

  • Überforderung & Vorzug einfacher Lösungen: Nach Krisen, Preisschocks und Dauerpessimismus klingt „weniger“ wie Erleichterung.
  • Klimasorge: Manche setzen „Wachstum“ mit mehr Ressourcenverbrauch gleich.
  • Kritik am BIP: Das Bruttoinlandsprodukt misst wenig von dem, was uns wirklich wichtig ist (Gesundheit, Zeitwohlstand, Naturqualität).

Diese Punkte sind verständlich. Aber aus ihnen folgt nicht, dass Null die Lösung ist.

Warum? 

Weil Deutschlands Wohlstand, Sozialstaat und ökologische Transformation ohne Wachstum nicht finanzierbar sind. Die ausführliche Antwort steht unten – und sie handelt nicht von „mehr vom Gleichen“, sondern von der Qualität des Wachstums.

1) Der Sozialstaat braucht Wachstum zur Finanzierung

Renten, Pflege, Gesundheit und Bildung sind laufende Zusagen. Mit einer alternden Gesellschaft steigt die Zahl der Leistungsbezieher schneller als die der Beitragszahler. Rente, Kranken- und sonstige Transfers binden in Deutschland rund 60 % aller Staatsausgaben (inkl. Sozialversicherungen), der Anteil steigt jedes Jahr um fast 0,5 %. Ohne Produktivitäts- und Einkommenswachstum bleiben nur drei Wege: Leistungen kürzen, Beiträge/Steuern erhöhen oder mehr Schulden.

2) Sicherheit, Infrastruktur, Verteidigung kosten real Ressourcen

Energie- und Netzwende, Schiene, digitale Infrastruktur, Resilienz von Lieferketten, Verteidigungsfähigkeit – all das sind Investitionen in Zukunftsfähigkeit. Sie müssen geplant, gebaut, gewartet werden. Bei Nullwachstum konkurrieren diese Projekte eins zu eins mit der Grundversorgung. Ergebnis: Stau, Verspätungen, Verschleiß (S-Bahnhöfe, die immer dreckiger und ungepflegter wirken; Rolltreppen und Fahrstühle, die nicht funktionieren …).

3) Die ökologische Transformation braucht Investitionen

Klimaschutz erfordert Mehrkosten. Eine Windanlage erreicht ihren energetischen Payback erst nach einiger Zeit; zusätzlich braucht es Investitionen in Speicher, Netze und Flexibilität/Regelenergie, um das System stabil zu halten.

4) Wohlstand ohne Produktivitätsfortschritt erodiert

Reallöhne steigen dauerhaft nur, wenn Beschäftigte mehr Wert pro Stunde schaffen können – durch bessere Prozesse, Software, Maschinen, Qualifikation. Nullwachstum heißt faktisch: keine realen Lohnerhöhungen mehr, weniger Spielräume für Konsum und bessere öffentliche Leistungen.

5) Geopolitische Handlungsfähigkeit hängt an wirtschaftlicher Stärke

Ohne wirksame Verteidigungsfähigkeit sind wir ein Spielball der Großmächte USA und China. Europa ist kein Ersatz; unterschiedliche Interessen und Vetorechte einzelner Staaten verhindern ein gemeinsames Auftreten (z. B. im Zollstreit oder bei der kostengünstigeren Beschaffung von Verteidigungswaffen). Nullwachstum bedeutet auch weniger Anziehungskraft für Talente und Kapital.

Missverständnis klären: Wachstum ≠ höherer Ressourcenverbrauch

Das 20.-Jahrhundert-Modell „mehr Tonnen, mehr Energie“ ist vorbei. Wachstum heute kommt aus Ideen, Software, neuen Verfahren, besseren Allokationen. Drei Hebel helfen dabei:

  • Effizienz: Gleiche Leistung mit weniger Input (Wirkungsgrade, Materialkreisläufe, KI-gestützte Planung).
  • Substitution: Saubere statt fossile Inputs (Erneuerbare + Speicher, grüne Prozesse).
  • Organisation & Regeln: Markt- und Rahmensetzung, die externe Kosten einpreist (CO₂-Preis, Standards) – so lenkt man Kapital in saubere Lösungen.

Das Ziel ist also nicht „mehr Beton“, sondern mehr Produktivität pro Ressourceneinheit.

Was wir statt „Null“ brauchen: Qualitätswachstum

Nennen wir es qualitatives Wachstum: mehr Wertschöpfung mit weniger Emissionen, Zeit- und Flächenverbrauch. Dafür braucht es politische Vorgaben.

A) Investieren, wo der Multiplikator hoch ist

  • Energie & Netze: Planungsbeschleunigung, Priorisierung von Engpässen (Übertragungs- und Verteilnetze, Speicher).
  • Schiene & Logistik: Mehr Kapazität pro Trasse durch Signaltechnik; Güterkorridore.
  • Digitalisierung des Staates: End-to-End-Prozesse statt PDF; Identität, Zahlungen, Register verknüpfen.
  • Forschung & Transfer: Fokusfelder mit Spillovers (Power-/Prozess-Tech, Industrie-Software, Biotech, Materialwissenschaften).

B) Produktivität im Mittelstand heben

  • Steuerliche Sofortabschreibung für Software/Automatisierung.
  • Standardisierte Förderpfade (eine Tür, klare Fristen) statt kleinteiliger Programme.
  • Weiterbildung on the job: Micro-/Kleinkredite, die nach bestandenen Modulen erlassen werden.

C) Arbeit mobilisieren

  • Qualifizierte Zuwanderung, schnellere Anerkennung, englischsprachige Behördenpfade.
  • Kinderbetreuung & Ganztag: reale Wahlfreiheit, höhere Erwerbsquoten.
  • Besseres Matching: regionale und digitale Mobilität (Pendler- bzw. Remote-Infrastruktur).

D) Kapital an den richtigen Platz

  • Planungs- und Genehmigungszeiten halbieren (harte Fristen, „Keine Antwort gilt als genehmigt“ bei Standardfällen).
  • Kapitalmarkt stärken: mehr Eigenkapitalfreundlichkeit (Mitarbeiterbeteiligung, Börsenfähigkeit), Pensionen auf privates Sparen umstellen und in Produktivvermögen (Aktien) lenken.
  • Regeln vereinfachen, aber verlässlich: Weniger Ausnahmen, mehr Stabilität – Investoren vertragen klare Leitplanken besser als komplexe, schwankende Vorgaben.

Fazit

„Null Wachstum“ klingt gut, löst aber kein strukturelles Problem – sondern bedeutet: weniger Finanzkraft, weniger ökologische Investitionen, weniger Chancenmobilität. Die echte Alternative lautet: sinnvolles Wachstum als politischer und unternehmerischer Auftrag.  

Samstag, 12. April 2025

Sind wir noch zu retten?

In Deutschland arbeiten Beschäftigte im Schnitt nur noch an rund 170 Tagen im Jahr – das entspricht etwa jedem zweiten Kalendertag. Gleichzeitig steigt der Krankenstand: Im Durchschnitt fällt jeder Arbeitnehmerin mittlerweile an fast jedem zehnten Arbeitstag krankheitsbedingt aus. Für Arbeitgeber ist das kostspielig, denn sie tragen die Lohnfortzahlung.

Zugleich hat der Staat in den letzten Jahren viele seiner Aufgaben an Unternehmen delegiert – und diese zusätzlich mit immer mehr Bürokratie belastet. Ein Beispiel: Die Bauvorschriften, insbesondere im Zuge der Energiewende, wurden stark verschärft. Das hat die Kosten für Neubauten innerhalb von fünf Jahren um mehr als 30 % steigen lassen, schätzen Branchenverbände.


Wenn Regulierung zur Besitzstandswahrung wird

Einige Branchen haben sich mit der Regulierung arrangiert – und nutzen ihren Einfluss, um bestehende Strukturen zu schützen:

  • Notare: Jede Änderung im Handelsregister muss notariell beurkundet werden. Eine Kapitalerhöhung von 1 Mio. Euro bei einem Start-up verursacht dadurch etwa 5.000 Euro Kosten – allein für die Eintragung.

  • Landwirte: Die staatlichen Zuschüsse machen ein Drittel der Einnahmen aus - dazu kommen Steuervergünstigungen etwa beim Agrardiesel sowie Förderungen für Solar-, Wind- und Biogasanlagen.

  • Pflichtabgaben: Unternehmen zahlen Jahr für Jahr kleinere, aber summierende Beträge – z. B. GEZ (80 €), IHK-Beiträge (ab 300 €), LEI-Registrierung (80 €), Schornsteinfegerpauschalen (100 €) und mehr.


Verwaltung – digital nur auf dem Papier

Zwar wurde mit dem Onlinezugangsgesetz ein erster Schritt Richtung digitale Verwaltung gemacht – die Umsetzung bleibt aber oft kurios: Formulare lassen sich online einreichen, werden dann aber ausgedruckt und per Hauspost weitergeleitet.

Ein paar Beispiele:

  • Das Passamt Gauting beschäftigt drei Mitarbeitende, kann aber keine Anträge aus anderen Bezirken entgegennehmen. 

  • Ärzt*innen füllen Totenscheine auf Durchschlagpapier aus – die Daten werden bis zu siebenmal manuell an unterschiedliche Stellen übermittelt. Statistiken, die daraus entstehen, sind entsprechend fehleranfällig.

  • Bürger*innen verbringen jedes Jahr viele Stunden mit Behördengängen – ein realer Produktivitätsverlust für die Gesamtwirtschaft.


Gut gemeint, aber schlecht gemacht

Viele Vorschriften verfolgen sinnvolle Ziele – wirken in der Praxis aber oft als Innovationsbremse oder schützen Marktführer:

  • Datenschutz ist wichtig, stellt aber vor allem kleine Start-ups vor große Hürden, während Konzerne wie Google und Meta die Anforderungen auf Millionen Nutzer verteilen.

  • Das Verbot der Sonntagsarbeit hatte einst sozialen Schutz im Blick – heute erschwert es flexible Modelle, während Onlinehändler mit 24/7-Verfügbarkeit den stationären Handel verdrängen.

  • Geflüchtete dürfen während ihres Asylverfahrens oft jahrelang nicht arbeiten – viele verlieren in dieser Zeit Perspektive und Struktur. Eine pragmatischere, arbeitsmarktnahe Regelung würde helfen.


Pflege und Fachkräftemangel – ein deutsches Dilemma

Wer eine 24-Stunden-Betreuung zu Hause organisieren möchte, benötigt laut aktueller Arbeitsschutzregelungen vier Vollzeitkräfte. Inklusive Vermittlungsgebühren entstehen dabei Kosten von über 30.000 Euro pro Monat. Statt hier durch gezielte Fachkräftezuwanderung und Lockerungen der Arbeitszeitregeln z.B. für Bereitschaftszeit zu entlasten, steigen die Pflegekosten unaufhaltsam und der Bürger wird zum Steuersünder.


Digitalisierung? Bitte nicht mit deutscher Gründlichkeit

Digitalisierungsprojekte scheitern oft – nicht an Technik, sondern an Zuständigkeiten:

  • Datenschutz bremst Fortschritt wie z.B. elektronische Krankenakte, obwohl viele Bürger längst digital unterwegs sind.

  • Föderalismus sorgt dafür, dass selbst bewährte Lösungen nur mit Zustimmung der jeweiligen Landesregierungen auf andere Regionen übertragen werden können.

  • Behörden halten oft an analogen Prozessen fest – selbst bei Softwareeinführungen wird die Technik an alte Abläufe angepasst, nicht umgekehrt. Ausdrucke und manuelle Unterschriften nach jedem Schritt bleiben Standard – auf Kosten von Zeit und Geld.


Gleiches Spiel auf der Baustelle

Öffentliche Bauprojekte dauern regelmäßig doppelt so lange wie geplant und kosten das Mehrfache privater Bauten  – und wenn ein Kindergarten nach fünf Jahren endlich eröffnet wird, droht oft schon bald wieder die Schließung wegen baulicher Mängel.


Wie sieht die Lösung aus?

Ein Blick in die Industrie zeigt, wie Effizienz funktioniert: Unser Automobilzulieferer Carbody ist vertraglich verpflichtet, die Teilepreise jährlich um 2–3 % zu senken, obwohl Löhne und Materialkosten regelmäßig steigen. Nur um die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten, müssen jährlich rund 10 % der Kosten eingespart oder die Ausbringungsmenge erhöht werden – meist durch Automatisierung und Prozessoptimierung.

Warum nicht auch im öffentlichen Dienst? Eine verpflichtende jährliche Effizienzsteigerung, sei es durch Kostenreduktion, Prozessverkürzung oder Output-Erhöhung, könnte genau die Digitalisierung anstoßen, die wir so dringend brauchen.

Mehr Anreize für Wohnungsbau schaffen

Ein effektiver Weg, den Wohnungsbau anzukurbeln, wäre eine zielgerichtete Reform der Grund- und Grunderwerbsteuer:

  • Die derzeit niedrige Grundsteuer könnte erhöht werden, um das Horten unbebauter Grundstücke weniger attraktiv zu machen.

  • Im Gegenzug könnte die Grunderwerbsteuer beim Bau oder Erstkauf von Wohnraum gesenkt werden – insbesondere für Selbstnutzer oder Investoren, die tatsächlich bauen.

So würden Brachflächen oder ungenutzte Grundstücke stärker in die Verantwortung genommen und gleichzeitig Anreize für Bebauung und Nutzung geschaffen.

Digitalisierung der Unternehmensverwaltung vereinfachen

Auch im Bereich Unternehmensgründung und -verwaltung ist Effizienzsteigerung möglich:
Eintragungen ins Handelsregister oder Gesellschafteränderungen könnten längst vollständig digital abgewickelt werden – sicher und rechtsverbindlich, z. B. durch Video-Ident oder Online-ID-Check, wie er bereits bei Kontoeröffnungen eingesetzt wird.

Wenn man heute innerhalb weniger Minuten online ein Bankkonto eröffnen kann, sollten einfache Verwaltungsvorgänge wie Handelsregisteränderungen nicht mehr tagelang dauern oder zwingend einen Notartermin erfordern.


Fazit: Nicht kaputtsparen, aber kaputtregulieren auch nicht

Deutschland steht vor der Herausforderung, Verwaltung, Bürokratie und Prozesse auf ein neues Effizienzniveau zu heben – ohne sozialen Schutz über Bord zu werfen. Doch dafür braucht es Mut, Offenheit und die Bereitschaft, liebgewonnene Strukturen zu hinterfragen.

Denn wer heute nicht reformiert, riskiert morgen Stillstand – und den können wir uns schlicht nicht mehr leisten.

Freitag, 11. April 2025

US-Schuldenkrise – Bessere Lösungen statt willkürlicher Zölle und Handelsstreitigkeiten

Statt auf protektionistische Maßnahmen wie Zölle oder Handelskonflikte zu setzen, sollte die US-Regierung über strategisch durchdachte und langfristig wirkende Alternativen nachdenken, um strukturelle Ungleichgewichte zu korrigieren. Bereits in den 1990er Jahren schlug Warren Buffett einen innovativen Mechanismus vor: Ein Zertifikatesystem, bei dem Importeure von Waren Lizenzen von Exporteuren ersteigern müssen – ähnlich einem Emissionshandelssystem. Der Marktmechanismus dieses Systems sorgt dafür, dass Importe und Exporte über den Preis ins Gleichgewicht gebracht werden. Im Ergebnis wirkt dieser Ansatz wie ein flexibler, marktwirtschaftlich organisierter Zoll, ohne direkte Handelspartner zu benachteiligen. 

Die “Dutch Disease” der USA – Der Export von Dollar statt von Gütern

Die Vereinigten Staaten leiden heute unter einer Form der „Dutch Disease“: Während rohstoffreiche Länder natürliche Ressourcen exportieren und ihre Währungen dadurch aufwerten, exportiert die USA ihre eigene Währung – den US-Dollar. Dies ist historisch gewollt. Seit dem Petrodollar-Abkommen in den 1970er Jahren wird Öl weltweit in Dollar gehandelt, oft als Gegenleistung für militärische oder sicherheitspolitische Garantien. Dieses Arrangement sichert eine konstante Nachfrage nach dem Dollar, führt jedoch auch zu strukturellen Handelsdefiziten und einer tendenziellen Überbewertung der Währung – zum Nachteil amerikanischer Exporteure.

Sterilisierte Kapitalflüsse: Ein strategischer Wealth Fund für Amerika

Eine mögliche Lösung wäre ein öffentlicher Vermögensfonds („Public Wealth Fund“), wie ihn der US Schatzmeister Graham Bessent vorschlug. Dabei würden die Kapitalzuflüsse in den Dollar – etwa durch ausländische Investitionen – sterilisiert, indem die US-Regierung gezielt Auslandsinvestitionen tätigt, anstatt das Geld in der Binnenwirtschaft zirkulieren zu lassen. Dieses Modell ähnelt dem Vorgehen Chinas mit seiner Belt-and-Road-Initiative oder der Schweiz, wo Zentralbanken und Staatsfonds seit Jahren erfolgreich den Wechselkurs managen, um eine übermäßige Aufwertung der eigenen Währung zu verhindern und die Exportindustrie zu schützen.

Die USA könnten damit ähnlich wie andere Länder bewusst externe Nachfrageüberschüsse neutralisieren, ohne die Geldpolitik zu lockern oder die Inflation zu steigern – durch eine Art „Schattenpolitik“ der Kapitalbilanz. Die langfristige Folge wäre ein stabilerer, schwächerer Dollar, eine verbesserte Wettbewerbsfähigkeit der amerikanischen Industrie und eine strategische Diversifikation nationalen Reichtums durch internationale Anlagen.

Weitere Optionen: Kapitalmarkt-Kontrollen und Ertragssteuern auf USD-Schulden

Alternativ oder ergänzend könnten Kapitalertragssteuern auf USD-Schulden, beispielsweise in Höhe von 30 %, eingeführt werden. Dies würde den Anreiz für kurzfristige, spekulative Kapitalzuflüsse in den US-Markt dämpfen und die externe Nachfrage nach US-Dollar reduzieren. Auch eine moderat regulierte Kapitalmarktpolitik – wie sie China praktiziert – könnte ein Instrument sein, um einseitige Aufwertungsdynamiken zu bremsen und dem Exportsektor eine strategische Entlastung zu verschaffen.

Fallstudie: Ausflug in den Großanlagenbau

Der Großanlagenbau wirkt auf den ersten Blick planbar – ist es aber oft nicht. Komplexe Verträge, lange Projektlaufzeiten und hohe Materialk...