Wen treibt nicht die Angst um, dass die
hohen Staatsdefizite zur Bekämpfung der augenblicklichen Coronaepidemie zu
einer Entwertung des Geldes führen? Die Notenbanken haben ihre Munition in der
letzten Finanzkrise durch ein Absenken der Zinsen auf unter null und die
Erhöhung der Geldmenge (Draghi: "Whatever it takes") weitgehend
verschossen. Jetzt laufen staatliche Ausgabenprogramme (z.B. in Form der
Senkung der Mehrwertsteuer oder einer
Erhöhung des Kurzarbeitergeldes), die die Staatsschuldenquote in den
Industrieländern zurück auf das Niveau nach dem Zweiten Weltkrieg hebt. Droht
damit nicht die Inflation?
Landet das zusätzliche Geld nur in der
Sparbüchse, passiert nichts! Höchstens die Aktienkurse steigen, wenn damit
Finanzwerte gekauft werden. Solange die Wirtschaft nicht voll ausgelastet ist
und das Vertrauen in die Werthaltigkeit der eigenen Währung bleibt, führt die
Ausgabe des neuen Geldes nicht zur Inflation. Die zusätzliche Nachfrage hilft
dagegen, die Volkswirtschaft wieder zur Vollbeschäftigung zurückzuführen.
Was begrüßenswert ist. Leider gilt dies nur, wenn sich das Land in der eigenen
Währung verschulden kann. Wir Deutschen haben diese Macht in 2003 abgegeben und
unterliegen damit dem Diktat der Europäischen Zentralbank. Höhere deutsche
Staatsschulden lassen sich nicht durch einen Federstrich der eigenen
Notenbank aus der Welt schaffen, wie dies z.B. in den USA oder in Japan
der Fall ist. Unsere deutschen Schulden können nur durch die Europäische
Zentralbank gestrichen werden, die im Rahmen des laufenden Rückkaufprogramms
neben anderen Staatspapieren auch deutsche Anleihen im erheblichen Umfang
gekauft hat.
Um dies besser zu verstehen, hilft es
darüber zu sprechen, was Geld eigentlich ist. Die Geldmenge besteht zu
einem kleineren Teil aus den Geldscheinen, die die Notenbank in den Umlauf
bringt (und damit teilweise den Staatshaushalt finanziert). Zum größeren
Teil sind es die Kredite und
Schuldscheine, die die Banken und die Staatshaushalte auslegen. Die
europäischen Staatshaushalte verkaufen zur Finanzierung ihrer Defizite Anleihen
("Schuldscheine"). Diese machen einen Teil der Geldmenge aus. Die
steigende Neuverschuldung von ca. 3 % pro Jahr trägt so zur Erhöhung der
Geldmenge jedes Jahr bei. Ein weiterer Teil der Geldmenge sind die
Kredite, die die Banken auslegen. Diese machen in Europa gegenwärtig ca.
das 20-fache des Eigenkapitals der Banken aus, der sogenannte Geldmultiplikator des Finanzwesens. Die Banken haben damit ein Privileg zum Gelddrucken. Die Kreditmenge der Banken wird durch die von der
Zentralbank vorgegebene Reservequote (angelegte Gelder der Banken bei der
Zentralbank) indirekt mit bestimmt.
Damit stellt sich die Frage, warum sich die Staatshaushalte nicht direkt über die Notenbanken finanzieren.
Technisch wäre es kein Problem, dass die Zentralbank einfach elektronisch Geld
schafft und dies an den Bundeshaushalt zwecks Finanzierung der Staatsausgaben
überweist. Warum wird stattdessen der indirekte Weg der Finanzierung über den
Verkauf von Schuldscheinen an Banken und Privathaushalte gewählt und eine
stetig steigende Verschuldung akzeptiert? Die Antwort ist einfach: Dies ist
politisch so gewollt. Man traut den staatlichen Haushalten den verantwortlichen
Umgang mit der Notenpresse nicht zu und hofft, durch die künstliche Vorgabe einer
angemessenen Verschuldungsquote die Regierungen in ihren Ausgaben zu
disziplinieren. Werden Staatshaushalte durch die Notenbanken direkt
finanziert, fehlt angeblich die Kontrolle der Ausgaben und die
Inflationsraten werden schnell wieder das Ausmaß der Weimarer Verhältnisse
erreichen. Vergessen wird dabei, dass das Problem der Weimarer Republik die zu
hohen Auslandsschulden waren. Fast 1/3 der Wirtschaftsleistung war nötig, um
die von den Siegermächten erhobenen Strafschulden zu tilgen. Der Verweis auf
eine zu hohe Verschuldung wird auch gerne von den Politikern dazu genutzt,
gegen ungeliebte Ausgaben zu argumentieren.
Staatsdefizite stützen die Nachfrage und
erhöhen das Wirtschaftswachstum, solange die Wirtschaft nicht unter Volllast
fährt. Nur bei Vollbeschäftigung trifft die staatliche Nachfrage auf ein zu
geringes Angebot an Gütern und Serviceleistungen. Preissteigerungen und das
gefürchtete "Crowding out" der privaten Nachfrage sind die Folge.
Staatsschulden sind kein Problem, solange sich das Land in der eigenen Währung
verschuldet und eine Notenbank hat. So ließe sich die hohe Verschuldung des
japanischen Staates (mehr als das 2,5-fache der Wirtschaftsleistung) durch
einen einfachen Federstrich der japanischen Zentralbank aus der Welt schaffen! Diese hält gegenwärtig
die Hälfte der japanischen Staatsschulden und könnte mit einer einfachen
Ausbuchung die Verschuldungsquote um die Hälfte absenken. Ein Aufkauf der
übrigen im Umlauf befindlichen Schuldscheine mit gleichzeitiger Ausbuchung der
Schulden wäre ebenfalls möglich. Statt Schuldscheine würden lediglich mehr
Geldguthaben in der Wirtschaft zirkulieren, die Geldmenge bliebe aber gleich.
Warum haben die Staatshaushalte erst auf
die Coronaepidemie und ihre Folgen mit mehr Staatsausgaben reagiert, in der großen
Finanzkrise 2009 aber den Notenbanken das Feld überlassen? Die vorherrschende
Meinung nach dem Zweiten Weltkrieg war, dass die Notenbanken in einer
Wirtschaftskrise die Zinsen senken und damit via Geldmultiplikator die private Kreditmenge und damit indirekt die Nachfrage ankurbeln. Allerdings
geht dies nur, solange die Zinsen über null sind und die Verschuldungsrate der
privaten Haushalte nicht zu hoch ist. Diese können sich im Gegensatz zum Staat
nicht unbegrenzt verschulden, sondern rutschen irgendwann in eine Solvenzkrise.
Die große Finanzkrise wurde dadurch
ausgelöst, dass die private Verschuldung durch die damalige
Grundstücksspekulation in den meisten westlichen Industrieländern zu hoch war.
Ein Absenken der Zinsen führt in so einem Fall nicht zu mehr Nachfrage nach
Krediten.
Die Schuldenreduzierung war der Grund
dafür, dass die Erhöhung der Wirtschaftsleistung nach 2009 nur relativ gering
ausfiel. Negativzinsen führen eher zu einer Verunsicherung der
Marktteilnehmer, weil sie die Sicherheit ihrer Ersparnisse fürchten und
deswegen noch mehr sparen und zum Beispiel in Wertpapiere investieren.
Kurssteigerungen und ein Rückgang der Wertpapierrenditen (inklusive Dividenden)
sind die Folge. Zwar wurden durch das gleichzeitige Aufkaufen von Wertpapieren
durch die Zentralbanken die Geldguthaben der privaten Haushalte erhöht.
Aufgrund der Furcht vor der Zukunft sank der Geldumschlag aber im gleichen Maße,
sodass die gewünschte Erhöhung der Nachfrage ausblieb. Die Notenbanken hatten
so nur noch einen geringen Einfluss auf die reale Wirtschaft. In der
jetzigen Krise sind erhöhte staatliche Ausgaben das einzige Mittel, die
ausgefallene Nachfrage zu ersetzen. Da direkte staatliche Ausgaben (etwa
Infrastrukturmaßnahmen) einen längeren politischen und verwaltungstechnischen
Vorlauf haben, wurden richtigerweise im vermehrten Umfang direkt Gelder an die
privaten Haushalte überwiesen.
Sind die zusätzlich aufgenommenen
Schulden ein Problem? Nicht so lange die ausgereichten Mittel nur die fehlende
Nachfrage ersetzen und bei Wiederanlaufes der Wirtschaft zurückgefahren werden.
Im Gegenteil: das Risiko besteht eher darin, dass die staatlichen
Ausgaben wie in 2012/2013 zu schnell wieder zurückgenommen oder durch
zusätzliche Steuern kompensiert werden und damit die Gesamtnachfrage zu stark
fällt.