Donnerstag, 3. August 2023

Wir sparen uns zu Tode...

Die deutschen Haushalte sparen dieses Jahr wieder über 10 % des verfügbaren Einkommens (1). Wenn einer spart, muss jemand anders das Geld ausgeben, sonst sinkt die Wirtschaftsleistung.  Die deutschen Unternehmen können das Geld nicht gebrauchen; sie nahmen im letzten Jahr keine neuen Schulden auf (2).  Die Euroländer sparen nach dem Schock der großen Finanzkrise 2008 mit 14 % sogar noch mehr (3). Dies hat dazu geführt, dass die übrigen Europäer auch mehr produzieren als sie ausgeben.  Im Saldo sind die Euroländer seit 2009 zu Nettoexporteuren geworden (4).  Die Wirtschaftsleistung in Deutschland profitiert deswegen nicht mehr von der Nachfrage der Nachbarn.   

Bleiben die Amerikaner. Unsere Exportüberschüsse im letzten Jahr landeten zu 80 % in den USA - zulasten der amerikanischen Nachfrage und Beschäftigung (5). Eine hohe amerikanische Importquote führt zum stetigen Rückgang der amerikanischen Industrieproduktion mangels Nachfrage nach Produkten "Made in USA".  Wachsende Unzufriedenheit, mehr Populismus (Trump) und steigender Protektionismus (auch unter Biden) in den USA sind die Folge. Der Zorn traf zunächst die Chinesen, da hier das Defizit mehr als doppelt so hoch ist. Die Frage ist, wie lange können wir Deutsche noch von der amerikanischen Großzügigkeit profitieren?

Im Jahr 2022 betrug unser Exportüberschuss infolge der gestiegenen Energiepreise nur noch knapp über 2 % der Wirtschaftsleistung. Im Vorjahr war der Überschuss mit 4,8 % noch mehr als doppelt so hoch gewesen (6). Zum Glück sprang im letzten Jahr der deutsche Staat in die Bresche und finanzierte Transferzahlungen an Bürger und Unternehmen, um die gestiegenen Energiepreise zu subventionieren und nahm neue Schulden in Höhe von EUR 71 Mrd. auf. Wegen der bestehenden Schuldenbremse (7) ist dies aber nur ausnahmsweise möglich. Die Ersparnisse der Deutschen (ca. 5 % der Wirtschaftsleistung bei rund 50 % Steuerlast) finanzierten im letzten Jahr etwa jeweils zur Hälfte die Neuschulden des Staates und den internationalen, besonders amerikanischen Konsum (durch den Kauf entsprechender Schuldentitel).  

Wie sinnvoll ist die Schuldenbremse und wie schädlich sind Staatsschulden?

Staatsschulden werden so gut nie zurückgezahlt. Der Verschuldungsgrad fällt mit der wachsenden Wirtschaftsleistung, solange die Neukreditaufnahme (inklusive Zinsen für alte Schulden) unter dem Nominalwachstum liegt. Trotz der EUR 71 Mrd. Neuschulden des Bundes (2,6 % der Wirtschaftsleistung) fiel die Schuldenquote im letzten Jahr um immerhin 3 % auf 66 % des Bruttoinlandproduktes ("BIP" = Wirtschaftsleistung - siehe 8).  Der Grund? Die Wirtschaft wuchs mit 8 % stärker als die Schulden, und zwar real um 1,8 % zuzüglich 6,2 % Inflation. Eine Schuldenbeschränkung auf 0,35 % der Wirtschaftsleistung gemäß Schuldenbremse ist Unsinn.  Die Schuldenlast fällt immer, solange die Wirtschaft nominal (inklusive Inflation) stärker als die Schulden wächst. Eine sinkende Staatsverschuldung dagegen ist gleichbedeutend mit einem Rückgang der staatlichen Nachfrage zulasten der Wirtschaftsleistung bzw. der Einkommen aller Deutschen.

Seit dem Beginn der Schuldenbremse im Jahr 2016 haben sich die Staatsschulden in Deutschland wie folgt entwickelt (8):
 

Jahr

Schuldenstand in Mrd. €

Schuldenstand in % des BIP

2022

2.566

66,4

2021

2.495

69,3

2020

2.340

68,7

2019

2.069

59,6

2018

2.083

61,9

2017

2.131

65,2


Dank Coronahilfen stieg die Verschuldung im Jahr 2020 um gut 9 %. Hätte der Staat nicht geholfen, wäre die Wirtschaft noch stärker geschrumpft. Die Verschuldungsquote läge aufgrund des Rückganges möglicherweise über der heutigen. Auf jeden Fall wäre die Arbeitslosigkeit mangels Nachfrage drastisch gestiegen. Geringere Steuereinnahmen und mehr Transferzahlungen wären die Folge gewesen. Was wiederum eine höhere Neuverschuldung bedeutet hätte.  

Was passiert, wenn zunehmender Protektionismus in den USA und anderswo dazu führt, dass die Nachfrage nach unseren Exporten fällt und in Deutschland die Schuldenbremse bleibt?

Die Wirtschaftsleistung ist die Summe aller Ausgaben, egal ob für Konsum oder Investitionen. Wenn jeder Bürger 10 % spart, fallen alle Ausgaben um 10 %. Die sinkende Wirtschaftsleistung führt im gleichen Verhältnis zu einer Verringerung der Einnahmen. Sparen die Bürger trotz des verringerten Einkommens aus Angst immer noch 10 % der Einnahmen oder vielleicht noch mehr, fällt die Wirtschaftsleistung weiter. Ein Teufelskreis, der in den 30-er Jahren in den USA und in der Weimarer Republik zu einem Rückgang der Wirtschaftsleistung um über 50 % führte, da es keine staatliche Transferzahlungen wie Arbeitslosengeld als Ausgleich gab. Erst die durch Schulden finanzierten Ausgabenprogramme der Nazis ("Autobahnen") und die Kriegsausgaben des Zweiten Weltkrieges führten überall zu Vollbeschäftigung und steigender Wirtschaftsleistung. Nach Beendigung des Krieges sorgten Wiederaufbau und steigende Nachfrage nach Konsumgütern für Wirtschaftswachstum und den Rückgang der Schulden; trotz neuer Schulden ging der Verschuldungsgrad zurück.


Fazit

"Sparen ist gut und Schulden sind schlecht." Dies mag für den Einzelnen gelten, gerade wenn neue Schulden den Konsum finanzieren. Dies gilt aber nicht für die Volkswirtschaft als Ganzes. Ohne die Aufnahme neuer Kredite durch Unternehmen oder den Staat zur Finanzierung von Ausgaben gibt es keine Verwendung für die Ersparnisse. Wenn alle inklusive Staat und Unternehmen sparen, dann sparen wir uns arm! Dabei spielt es kurzfristig keine Rolle, wofür der Staat das Geld ausgibt. Bürgerentlastungen, die zu mehr Ausgaben führen, Straßenbau oder neue Investitionen - alle Ausgaben erhöhen die Wirtschaftsleistung und steigern das Einkommen. Natürlich habe Investitionen zum Beispiel in die Pünktlichkeit der Bahn positive Folgeeffekte. Die Reduzierung von Verschwendung durch den Abbau der Wartezeiten steigert die Produktivität. Damit vergrößert sich das Potenzial der Wirtschaft. Eine erhöhte Nachfrage wirkt weniger inflationär und steigert unser Trendwachstum von derzeit real 1-2 % p.a.  Derzeit geht die deutsche Wirtschaftsleistung zurück (wir befinden uns in der Rezession) und eine Steigerung der deutschen Staatsausgaben zur Ankurbelung der Wirtschaft wären dringend erforderlich. Bis zur Höhe von 3 bis 4 % der Wirtschaftsleistung ist dies sogar ohne die Erhöhung der Verschuldungsquote möglich, da die Wirtschaft in der Regel nominal um diese Rate wächst. Stattdessen fordern Politiker, staatliche Ausgaben zu kürzen und die Schuldenbremse unbedingt einzuhalten. Was die deutsche Wirtschaft noch mehr schädigt und der AFD zusätzliche Stimmen zutreibt!






____________________________________

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Argentinien wird scheitern - ist Deutschland besser dran?

Das Problem in Argentinien sind die Auslandsschulden. Diese betragen 40 % der Wirtschaftsleistung. Der eingeschlagene Sparkurs der neuen Reg...