Warum Nullwachstum attraktiv erscheint:
- Überforderung & Vorzug einfacher Lösungen: Nach Krisen, Preisschocks und Dauerpessimismus klingt „weniger“ wie Erleichterung.
- Klimasorge: Manche setzen „Wachstum“ mit mehr Ressourcenverbrauch gleich.
- Kritik am BIP: Das Bruttoinlandsprodukt misst wenig von dem, was uns wirklich wichtig ist (Gesundheit, Zeitwohlstand, Naturqualität).
Diese Punkte sind verständlich. Aber aus ihnen folgt nicht, dass Null die Lösung ist.
Warum?
Weil Deutschlands Wohlstand, Sozialstaat und ökologische Transformation ohne Wachstum nicht finanzierbar sind. Die ausführliche Antwort steht unten – und sie handelt nicht von „mehr vom Gleichen“, sondern von der Qualität des Wachstums.
1) Der Sozialstaat braucht Wachstum zur Finanzierung
Renten, Pflege, Gesundheit und Bildung sind laufende Zusagen. Mit einer alternden Gesellschaft steigt die Zahl der Leistungsbezieher schneller als die der Beitragszahler. Rente, Kranken- und sonstige Transfers binden in Deutschland rund 60 % aller Staatsausgaben (inkl. Sozialversicherungen), der Anteil steigt jedes Jahr um fast 0,5 %. Ohne Produktivitäts- und Einkommenswachstum bleiben nur drei Wege: Leistungen kürzen, Beiträge/Steuern erhöhen oder mehr Schulden.
2) Sicherheit, Infrastruktur, Verteidigung kosten real Ressourcen
Energie- und Netzwende, Schiene, digitale Infrastruktur, Resilienz von Lieferketten, Verteidigungsfähigkeit – all das sind Investitionen in Zukunftsfähigkeit. Sie müssen geplant, gebaut, gewartet werden. Bei Nullwachstum konkurrieren diese Projekte eins zu eins mit der Grundversorgung. Ergebnis: Stau, Verspätungen, Verschleiß (S-Bahnhöfe, die immer dreckiger und ungepflegter wirken; Rolltreppen und Fahrstühle, die nicht funktionieren …).3) Die ökologische Transformation braucht Investitionen
Klimaschutz erfordert Mehrkosten. Eine Windanlage erreicht ihren energetischen Payback erst nach einiger Zeit; zusätzlich braucht es Investitionen in Speicher, Netze und Flexibilität/Regelenergie, um das System stabil zu halten.4) Wohlstand ohne Produktivitätsfortschritt erodiert
Reallöhne steigen dauerhaft nur, wenn Beschäftigte mehr Wert pro Stunde schaffen können – durch bessere Prozesse, Software, Maschinen, Qualifikation. Nullwachstum heißt faktisch: keine realen Lohnerhöhungen mehr, weniger Spielräume für Konsum und bessere öffentliche Leistungen.
5) Geopolitische Handlungsfähigkeit hängt an wirtschaftlicher Stärke
Ohne wirksame Verteidigungsfähigkeit sind wir ein Spielball der Großmächte USA und China. Europa ist kein Ersatz; unterschiedliche Interessen und Vetorechte einzelner Staaten verhindern ein gemeinsames Auftreten (z. B. im Zollstreit oder bei der kostengünstigeren Beschaffung von Verteidigungswaffen). Nullwachstum bedeutet auch weniger Anziehungskraft für Talente und Kapital.
Missverständnis klären: Wachstum ≠ höherer Ressourcenverbrauch
Das 20.-Jahrhundert-Modell „mehr Tonnen, mehr Energie“ ist vorbei. Wachstum heute kommt aus Ideen, Software, neuen Verfahren, besseren Allokationen. Drei Hebel helfen dabei:- Effizienz: Gleiche Leistung mit weniger Input (Wirkungsgrade, Materialkreisläufe, KI-gestützte Planung).
- Substitution: Saubere statt fossile Inputs (Erneuerbare + Speicher, grüne Prozesse).
- Organisation & Regeln: Markt- und Rahmensetzung, die externe Kosten einpreist (CO₂-Preis, Standards) – so lenkt man Kapital in saubere Lösungen.
Das Ziel ist also nicht „mehr Beton“, sondern mehr Produktivität pro Ressourceneinheit.
Was wir statt „Null“ brauchen: Qualitätswachstum
Nennen wir es qualitatives Wachstum: mehr Wertschöpfung mit weniger Emissionen, Zeit- und Flächenverbrauch. Dafür braucht es politische Vorgaben.A) Investieren, wo der Multiplikator hoch ist
- Energie & Netze: Planungsbeschleunigung, Priorisierung von Engpässen (Übertragungs- und Verteilnetze, Speicher).
- Schiene & Logistik: Mehr Kapazität pro Trasse durch Signaltechnik; Güterkorridore.
- Digitalisierung des Staates: End-to-End-Prozesse statt PDF; Identität, Zahlungen, Register verknüpfen.
- Forschung & Transfer: Fokusfelder mit Spillovers (Power-/Prozess-Tech, Industrie-Software, Biotech, Materialwissenschaften).
B) Produktivität im Mittelstand heben
- Steuerliche Sofortabschreibung für Software/Automatisierung.
- Standardisierte Förderpfade (eine Tür, klare Fristen) statt kleinteiliger Programme.
- Weiterbildung on the job: Micro-/Kleinkredite, die nach bestandenen Modulen erlassen werden.
C) Arbeit mobilisieren
- Qualifizierte Zuwanderung, schnellere Anerkennung, englischsprachige Behördenpfade.
- Kinderbetreuung & Ganztag: reale Wahlfreiheit, höhere Erwerbsquoten.
- Besseres Matching: regionale und digitale Mobilität (Pendler- bzw. Remote-Infrastruktur).
D) Kapital an den richtigen Platz
- Planungs- und Genehmigungszeiten halbieren (harte Fristen, „Keine Antwort gilt als genehmigt“ bei Standardfällen).
- Kapitalmarkt stärken: mehr Eigenkapitalfreundlichkeit (Mitarbeiterbeteiligung, Börsenfähigkeit), Pensionen auf privates Sparen umstellen und in Produktivvermögen (Aktien) lenken.
- Regeln vereinfachen, aber verlässlich: Weniger Ausnahmen, mehr Stabilität – Investoren vertragen klare Leitplanken besser als komplexe, schwankende Vorgaben.
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