Vor 10 Jahren nach der Lehmann-Pleite
fuhren plötzlich deutlich weniger Lastwagen auf den Autobahnen und die
Unternehmen der BAVARIA Gruppe machten im vierten Quartal 2018 30 % weniger Umsatz
als davor. Was ist damals passiert, droht heute das Gleiche wieder?
Da sich in der Wirtschaft viele Prozesse
wechselseitig beeinflussen, gibt es kein Gleichgewicht im eigentlichen Sinne.
Alle volkswirtschaftlichen Gleichungen, die man im Grundstudium der BWL lernt,
kann man deshalb getrost vergessen. Unser Verhalten steuert sich nicht aus der
Kenntnis von Tatsachen, sondern beruht auf Vermutungen. Was uns über viele
Generationen hinweg das Überleben sicherte, wie zum Beispiel der Drang,
Verluste unbedingt zu vermeiden, führt heute dazu, dass wir zu wenig
Gewinnchancen wahrnehmen, indem wir zum Beispiel trotz durchschnittlicher
Renditen von 7-8% Aktien als Anlageform als zu riskant erachten.
Die vorhandene Geldmenge der
Volkswirtschaft wird im Wesentlichen durch den Prozess der Kreditvergabe der
Banken bestimmt. Kredite werden in der Regel nur gegen ausreichende
Sicherheiten gewährt, die von einer Bewertung abhängen - zum Beispiel einer
Immobilie. Die Bewertung ist wiederum von der Nachfrage nach Sachwerten und der
Höhe der Kreditvergaben abhängig. Was George Soros
"Reflexivität"" nennt. Im Microsoft Excel heißt dies schlicht
"Bezugsfehler". Also gibt es Übertreibungen in beide Richtungen -
wenn die Teilnehmer der Wirtschaft zu optimistisch sind, gibt es eine
"Kreditblase" - sind sie zu pessimistisch, gibt es eine
"Rezession".
In der Regel versuchen die Zentralbanken,
die Höhe der Kreditvergabe über den kurzfristigen Dispozins zu steuern, mit dem
sich die Banken bei der Zentralbank refinanzieren oder mit dem sie ihre
Liquidität parken. Oder die Geldmenge wird direkt durch Käufe oder Verkäufe von
festverzinslichen Wertpapieren (Bonds) gesteuert. So haben die Zentralbanken
während der jetzt auslaufenden QE Phase die Geldmenge durch den Kauf von
Staatsanleihen erhöht. Allerdings ist der Zusammenhang zwischen der Geldmenge,
der Kreditvergabe und der volkswirtschaftlichen Nachfrage und damit der
Wirtschaftsleistung nur ein indirekter: Geld kann unproduktiv auf
Festgeldkonten geparkt oder in Aktien oder andere Sachwerte investiert werden,
ohne damit die Wirtschaftsleistung zu erhöhen. Damit die Wirtschaftsleistung
angekurbelt wird, müssen Investitionen in zusätzliches Personal oder in
Produktivvermögen erfolgen. Dafür muss Vertrauen in die Nachhaltigkeit der
Nachfrage und die Sicherheit der Zahlungen herrschen. Auch der LKW mit neuen
Waren wird nur dann losgeschickt, wenn die Zahlung gesichert erscheint.
In der Vergangenheit ließen sich ein
Vertrauensverlust und die daraus resultierende Abschwächung der Nachfrage durch
die Erhöhung der Geldmenge und die Senkung der Zinsen wieder ausgleichen.
Drohten nach ein paar Jahren der Expansion die Überhitzung der Nachfrage und
damit die Inflation, konnte man durch Zinserhöhungen die Nachfrage wieder
reduzieren. Im Laufe der Zeit erhöhen sich jedoch die Schulden der
Volkswirtschaften dabei beständig. So liegt die Neuverschuldung der wichtigsten
Industrieländer bei durchschnittlich 2-3% p.a. Die Verschuldungsraten der
entwickelten Volkswirtschaften liegen mittlerweile bei 250-400% der
Wirtschaftsleistung ("GDP"). Das kann nur funktionieren, solange die
Zinsen auf historisch niedrigstem Niveau sind. Selbst bei Zinsen von nur 1%
werden 3-4% der Wirtschaftsleistung für Zinszahlungen benötigt. Rückzahlungen
sind damit eigentlich ausgeschlossen und alte Kredite werden durch immer neue
Kredite abgelöst. Alle paar Jahrzehnte muss es also eine Phase der
Schuldenrückführung geben. Eine solche Phase hatten wir nach 2008. Zwar wurden
private Schulden nur durch zusätzliche Staatsschulden abgelöst. Staatliche
Ausgaben (zum Beispiel "Abwrackprämien") dienten zu Beginn der Krise
dazu, die fehlende private Nachfrage auszugleichen. Negativzinsen halfen dabei,
einen Teil der Altschulden zu reduzieren. Leider steigt die wirtschaftliche
Gesamtverschuldung bei den wichtigsten Industrienationen mittlerweile wieder an
oder wuchs beständig weiter (wie in China).
Also wird es Zeit für eine neue
Reduzierung der Schulden. Ein drastischer Schuldenschnitt erfolgte in der
Vergangenheit immer nach einer Krise, die zur Bereinigung der Schuldenexzesse
diente. Erst in einer Rezession haben die Regierungen und die Staatsbanken die
nötige Autorität, nachhaltig zu reagieren. Auch neigen alle dazu, in den guten
Zeiten Regularien abzubauen. So wurden vor der Krise - wie auch jetzt wieder -
die Zahl der erlaubten Bankgeschäfte und die Höhe der Sicherheiten bei
gleichzeitig steigenden Bewertungen reduziert. Zum Beispiel hatte die Deutsche Bank in den 3 Jahren vor 2008 die Bilanzsumme auf 2,2
Billionen € mehr als verdoppelt und das Eigenkapital auf unter 1,5% reduziert.
Das erklärte Renditeziel unter Ackermann lautete 20% - eine solche Rendite lässt
sich aber nur in Märkten ohne Wettbewerb oder hilfsweise ohne Eigenkapital
einfahren. Bei anderen europäischen Großbanken lief es ähnlich ab. Die EZB hat
nur zugeschaut.
Die Krise in Europa hat eigentlich nie
ganz aufgehört, da im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten die Großbanken nicht
rekapitalisiert worden sind. So beträgt heute das Eigenkapital der Deutschen
Bank nur 4,5 % bei einer gleichzeitigen Reduzierung der Bilanzsumme auf 1,4
Billionen €. Also ist das Neugeschäft massiv zurückgefahren worden, dies zulasten der volkswirtschaftlichen Gesamtnachfrage. Politisch ist eine
Rekapitalisierung der Banken nur schwer durchsetzbar, zu laut ist der Aufschrei
der Wählerschaft! Also kaufen die Banken italienische Staatsanleihen mit 3 %
Rendite und leihen sich für -0,4 % das Geld bei der EZB, sodass der Aufbau von
Eigenkapital nur sehr langsam voranschreitet. Die US-Banken wurden 2009 dagegen
wieder rekapitalisiert u. a. durch die TARP Warrants; so können sie mit 12-13 %
Eigenkapital wieder durch Kreditvergaben expandieren. In Europa mangelt es aber
nach wie vor an Krediten für Unternehmen.
Was Ray Dalio "Beautiful Deleveraging"
nennt, findet typischerweise immer erst nach ein paar Jahren der Krise bzw. des
Wirtschaftsrückgangs statt. Nämlich dann, wenn feststeht, dass die klassischen
Mittel der Zinssenkung nicht mehr funktionieren, weil kein Vertrauen mehr in
die Werthaltigkeit der Sicherheiten und die Dauerhaftigkeit der Nachfrage
besteht. Aktuell steckt zum Beispiel die Türkei in einer solchen Krise: in den
Boomjahren hat sich das Land aufgrund
des Leistungsbilanzdefizits (Importe übersteigen Exporte) mit Dollars stark
verschuldet. Ausländer haben ihr Geld gerne in das boomende Land investiert.
Der starke Anstieg des Dollars und die irrationale Wirtschaftspolitik bei
gleichzeitig stark gestiegenen Auslandsschulden führten in die Vertrauenskrise.
Kapitalflucht und Verfall der Lira waren die Folge. Die Zentralbank reagierte
erst spät mit Zinserhöhungen. Der kurzfristige Zins liegt jetzt bei 25 %. Die
Wirtschaft wuchs im letzten Quartal noch, da sich die Zinserhöhungen erst mit
einiger Verspätung auswirken - die Schuldzinsen werden bei den privaten
Krediten erst nach einem Quartal angepasst. Der Aktienmarkt ist seit einem Jahr
bereits um 50 % zurückgegangen.
Es ist wahrscheinlich, dass die türkische Wirtschaft
zunächst einmal schrumpft und damit die Schuldenlast im Verhältnis zum
Bruttosozialprodukt aufgrund der verringerten Wirtschaftsleistung erst einmal
ansteigt. Bevor es wieder besser geht, muss es erst schlimmer werden. Erst wenn
die Importquote gefallen ist und die Regierung mit fiskalpolitischen Maßnahmen
die Nachfrage wieder ankurbelt, wird die Wirtschaft wieder wachsen. Diese
Ausgaben werden typischerweise durch Gelddrucken finanziert. Dies kann
allerdings erst dann geschehen, wenn die Inflationserwartungen wieder gefallen
sind nach einigen Jahren der Rezession. Im Augenblick beträgt die
Inflationsrate aufgrund des noch bestehenden Nachfrageüberhangs 25 %. Eine
Erhöhung der Geldmenge jetzt kurbelt nur die Inflation an, da die
Inflationserwartungen nur weiter steigen und die Nachfrage ohnehin noch zu
stark ist. Die Schuldenlast reduziert sich erst dann, wenn das
Wirtschaftswachstum wieder höher ist als der nominale Zinssatz. Der Zeitpunkt,
wann man wieder türkische Aktien kaufen kann, ist damit noch ein paar
Jahre entfernt.
Droht in Westeuropa und in den USA demnächst
ein ähnliches Szenario? Das hängt vom Vertrauen der Wirtschaft und vom
Vertrauen in die Politik ab, wie das Beispiel Italien zeigt. Die neue
populistische Regierung will durch fiskalpolitische Maßnahmen die Nachfrage
ankurbeln, um die hohe Arbeitslosenquote endlich zu reduzieren. Allerdings sind
bereits die Zinsen der italienischen Staatsanleihen gestiegen aufgrund der
Angst der Anleger. Die erhöhten Zinszahlungen werden wohl Ausgabenkürzungen an
anderer Stelle erzwingen, sodass der Saldo der Nachfrage Ankurbelung sich auf null
belaufen dürfte.
Wer mehr
dazu lesen möchte, dem seien die Bücher von Ray Dalio „ A Template For
Understanding Big Debt Crisis und "Crashed - How a decade of Financial
Crises Changed the World“ von Adam Toze empfohlen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen