Dienstag, 9. September 2025

Beyss: Warum unser erster 1-Euro-Deal scheiterte

Am Tag nach der Übernahme saß ich allein im Büro – mit den Schlüsseln auf dem Tisch und der Verantwortung für 130 Mitarbeitende. Diese Fallstudie zeigt, was bei einem 1-Euro-Deal alles schieflaufen kann.

Der 1-Euro-Kauf mit Zuschuss

Im April 2003, nur vier Monate nach der Gründung unserer Firma, kauften wir den Anlagenbauer für einen symbolischen Euro. Beyss stellte Waschanlagen für Getriebeteile in der Automobilindustrie her. Mit 30 Millionen Euro Jahresumsatz in der Vergangenheit schien das Unternehmen eine Basis zu haben, doch der Ausblick war düster.

Um die Verluste abzufedern, handelten wir einen Zuschuss von 1,6 Millionen Euro mit dem Verkäufer aus – eine Schließung wäre für ihn noch teurer gewesen. 

Plötzlich allein für 130 Mitarbeiter verantwortlich

Voller Tatendrang stand ich am ersten Tag nach der Übernahme mit einer Liste von Verbesserungsideen im Büro des Geschäftsführers. Doch bevor ich überhaupt anfangen konnte, drückte er mir die Firmenschlüssel in die Hand – zusammen mit seiner Kündigung. Er fürchtete wohl, künftig an seinen eigenen Ankündigungen gemessen zu werden.

Später erfuhr ich, dass manche Geschäftsführer Boni erhalten, wenn sie das Unternehmen in Präsentationen möglichst glänzend darstellen. So soll verhindert werden, dass sie frühzeitig die Fronten wechseln und sich beim Käufer anbiedern, um einen niedrigeren Kaufpreis zu erzielen.

Da saß ich nun allein in seinem dunkel getäfelten Büro und fragte mich: „Was jetzt?“ Ob mir damals die Tränen in den Augen standen, weiß ich nicht mehr. Plötzlich war ich für 130 Menschen verantwortlich. Als Kaufmann hatte ich nur selten eine Produktionshalle betreten, und nun schaute ich auf große, laute Maschinen. Mein Geschäftspartner, der in München geblieben war, konnte mir aus der Ferne auch keinen schnellen Rat geben. Im Hotelzimmer am Abend wurde meine Entscheidung klar: Ich musste versuchen, das Unternehmen als Geschäftsführer selbst zu retten!

Die ernüchternde Bilanz

Ich bat den Controller, eine monatliche Cashflow-Planung zu erstellen. Die Ergebnisse waren ernüchternd: Das Unternehmen hatte nur noch wenige Monate zu leben.

Wir verlegten die täglichen Management-Meetings auf 7 Uhr morgens, während mein Vorgänger erst um 9 Uhr angefangen hatte. Wir bauten die Rückstände schrittweise ab und lieferten die Maschinen schneller aus. Das verbesserte unseren Cashflow merklich.

Der nächste Schock kam beim Blick in die Bilanz: Es gab viel zu wenig Eigenkapital. Die Betriebsimmobilie war als „Kaufpreis“ im Besitz der alten Gesellschaft geblieben. Alle anderen Vermögenswerte und Schulden – inklusive der 1,6 Millionen Euro auf einem neuen Konto – waren in eine neue Gesellschaft überführt worden, die wir für einen symbolischen Euro übernommen hatten. Trotz des gut gefüllten Kontos lag das Eigenkapital wegen der vielen offenen Lieferantenrechnungen bei nur 50.000 Euro. Das reichte angesichts der laufenden Verluste nur noch für wenige Tage.

Ohne eine schnelle Trendwende hätte ich nach drei Wochen Insolvenz anmelden müssen, sonst hätte ich persönlich für neue Schulden gehaftet.

Nachverhandlungen, um die Firma zu retten

Mithilfe eines Anwalts aus München fanden wir einen Weg: Die Verkäuferin hatte beim Verkauf nicht abgewartet, dass die 30-tägige Frist für Mitarbeiterwidersprüche abgelaufen war. Die Mitarbeiter konnten dem Übergang noch widersprechen. Im Gespräch mit dem Betriebsrat wurde klar: Nur so ließen sich Arbeitsplätze oder Abfindungen sichern. Die alte Gesellschaft war weiterhin verpflichtet, die Verluste auszugleichen.

Die Verkäuferin steckte in der Klemme: Die Maschinen und Vorräte waren schon übertragen. Ein ganzer Monat verging, bis wir eine Einigung fanden. Wir hatten uns verpflichtet, alle Mitarbeiter zu übernehmen, aber ohne Stellenabbau war das Unternehmen nicht zu retten. Unser Plan sah eine Reduzierung auf 60, später sogar auf 40 Mitarbeiter vor. Die Auftragslage von circa 7 Millionen Euro gab nicht mehr her. Kurz vor Fristende stimmte die Verkäuferin zu, die Abfindungen zu übernehmen. Die meisten Angestellten wechselten zur neuen Gesellschaft.

Falsche Mitarbeiter entlassen und wertvolles Wissen verloren

Die Leiter der Entwicklung und des Vertriebs entschieden sich dagegen, nahmen die Abfindungen an und wechselten zur Konkurrenz. Das passiert oft: Während eines Verkaufs nutzen gerade die qualifiziertesten Mitarbeiter die Chance, sich neu zu orientieren. Der Wiederaufbau des Vertriebs zog sich länger hin als gedacht. Rückblickend mussten wir feststellen, dass wir die falschen Mitarbeiter entlassen hatten. Wir wollten die Fertigung auslagern und das Engineering-Know-how behalten. Aber wir unterschätzten, wie viel Praxiswissen in der Montagehalle steckte – die erfahrenen Facharbeiter fehlten nun.

Die Vergabeprozesse der Autohersteller wurden immer komplexer, die Fristen für die Fertigung immer kürzer. Wir mussten oft halbfertige Konstruktionszeichnungen in die Produktion geben, weil schlicht die Zeit fehlte, sie zu vollenden. Die Fachkräfte in der Halle wussten aus der Praxis, wie die fertigen Anlagen am Ende aussehen mussten. Die Anlagendokumentation wurde extern vergeben, um die letzten 10 % der Auftragssumme zu sichern. Das war ein Fehler: Wertvolles Wissen ging in der Entwicklungsabteilung verloren und es schlichen sich Fehler in die Unterlagen ein. Alle Aufträge konnten nur mit viel Nacharbeit abgeschlossen werden.

Der gescheiterte Turnaround

Fünf Jahre später meldete das Unternehmen Insolvenz an – inzwischen unter einem anderen Eigentümer. Wir hatten Beyss bereits ein Jahr zuvor für einen symbolischen Euro an den Geschäftsführer verkauft. Trotz vieler Wechsel in der Führung schaffte es niemand, das Unternehmen dauerhaft in die Gewinnzone zu bringen. Am Ende war die Substanz durch den Personalabbau und die vielen Eigenkündigungen so weit ausgeblutet, dass ein Turnaround nicht mehr möglich war.

Lehren aus dem Beyss-Deal:

  • Schlüsselkräfte im Vertrieb kündigten: Der Auftragseingang brach ein.
  • Mangelnde Dokumentation, Know-how im Engineering: Es gab Qualitätsprobleme und teure Nacharbeiten.

Die wichtigste Lektion: Gerade kleine Unternehmen hängen stark vom Wissen, den Kontakten und der Motivation weniger Schlüsselpositionen ab. Ohne einen passenden Geschäftsführer und engagierte Fachkräfte scheitert jede Sanierung.

In einer Woche beschreibe ich, wie unsere zweite Übernahme, ebenfalls ein Anlagenbauer, nach vielen Anläufen und Geschäftsführerwechseln fast zwei Jahrzehnte später doch noch zum Erfolg führte.












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