Montag, 10. November 2025

Fallstudie Teil 2: Vom Regen in die Traufe

Nachverhandlung

Wir standen vor der Frage, welche Ansprüche die Verkäuferin gegen uns geltend machen könnte. Sie hatte Bürgschaften über rund neun Mio. € gewährt und weitere Zahlungen an Vermieter und Mitarbeitende garantiert. Unser Anwalt empfahl, nach Anfechtungsgründen im Vertrag zu suchen.

Bei der Durchsicht der E-Mails der früheren Geschäftsleitung entdeckten wir, dass die Backups professionell von allen Servern gelöscht worden waren. Glücklicherweise fanden wir Kopien in der Finanzabteilung. Diese zeigten, dass die Verkäuferin das tatsächliche Ausmaß der Verluste verschwiegen hatte.

Wir erklärten den Rücktritt vom Kaufvertrag. Die Verkäuferin geriet nun selbst unter Druck, da ihre geplante Fusion mit einem Wettbewerber auf der Kippe stand. Nach intensiven Verhandlungen erhielten wir zusätzliche Liquiditätshilfen und Bürgschaften zur Deckung offener Verbindlichkeiten.

Der Wendepunkt

Wir stellten einen erfahrenen Automobilmanager ein, Harald Ender. Er überzeugte mich besonders, als er auf die Frage nach seiner Kündigungsfrist für den Interimseinsatz schlicht antwortete: „Einen Tag.“ Während viele Kandidaten trotz Erfolgsbeteiligung auf eine Absicherung mit langen Kündigungsfristen bestehen, vertraute er ganz auf seine eigenen Fähigkeiten.

Harald Ender ging die Herausforderungen direkt an und beendete den Streik in Emden. Betroffenen Mitarbeitern half er persönlich bei der Suche nach neuen Arbeitsplätzen. Er sprach mit verschiedenen Arbeitgebern in der Region und sicherte so die Anstellung der meisten Mitarbeiter – teilweise mit kleinen Zuschüssen, was uns im Vergleich zu Abfindungszahlungen erheblich Geld sparte.

Außerdem stärkte er den Zusammenhalt der Belegschaft in Lüdenscheid durch symbolische Aktionen, wie den Bau eines kleinen Museums, das alte Firmenplaketten ausstellte. Diese Maßnahmen steigerten das Engagement und die Motivation der Belegschaft.

Parallel ging er die Qualitätsprobleme an und führte sein eigenes „BAVARIA Operating System“ ein. Anfangs kontrollierten Mitarbeiter der Kunden auf unsere Kosten 100 % der gefertigten Flaschenhalter. Doch dank konsequenter Verbesserungen sank die Fehlerquote auf unter 500 ppm – ein sehr guter Wert in der Branche. Später beförderten wir Ender zum Chief Operating Officer unserer Holding.

Der Ausblick

Im Mittelpunkt seiner Maßnahmen stand die Erhöhung der Bruttomarge. Wir nahmen nur noch Neuaufträge mit einer Bruttomarge von mindestens 30 % an. Ohne diese Marge wäre die Gewinnschwelle („Break-even“) nicht erreichbar gewesen. Aufträge mit zu geringem Deckungsbeitrag blockierten wertvolle Kapazitäten und trugen nur teilweise zur Deckung der Fixkosten bei.

Durch diese Maßnahmen gingen die Verluste bei Paulmann & Crone drastisch zurück. Wo möglich, erhöhten wir die Preise; wo das nicht ging, stellten wir die Projekte ein – selbst wenn dies bedeutete, dass der Umsatz von ursprünglich 100 Mio. € um ein Drittel schrumpfte.

Ohne zusätzliche Investitionen war es jedoch unmöglich, die Sanierung erfolgreich abzuschließen. Angesichts dieser Herausforderung entschieden wir uns, das Unternehmen an einen lokalen Unternehmer zu einem symbolischen Kaufpreis zu übergeben. Dank seiner guten Beziehungen zur Landesregierung konnte er eine Bürgschaft in Höhe von 5 Mio. € für die geplanten Investitionen sichern.

Eine teure Lektion

Trotz des Verkaufs wurden wir später mit 10 Mio. € in Haftung genommen. Wir hatten übersehen, dass unsere Garantie auch nach der Übergabe bestand – weil keine Insolvenz angemeldet wurde. Das kam uns teuer zu stehen.

Der neue Eigentümer entdeckte ein Schreiben des Wirtschaftsprüfers, das auf fehlende Rückstellungen für erwartete Verluste hinwies – konkret wegen der losen Flaschenhalter. Obwohl es diesen Hinweis gab, hatte der Prüfer den Abschluss ohne Einschränkung testiert. Die Verkäuferin musste zusätzliches Kapital einschießen – und verlangte diese Mittel anschließend von uns zurück.

Trotz aller Bemühungen konnten wir das Schiedsgericht nicht von der unredlichen Vorgehensweise der Verkäuferin überzeugen. Es bestand auf Erfüllung unserer vertraglichen Pflichten. Auch in den nachfolgenden Klagen vor ordentlichen Gerichten unterlagen wir. Schließlich verklagten wir sogar unseren eigenen Anwalt – leider ebenfalls erfolglos.

Bisher haben wir gesehen, wie unterschiedlich Projekt- und Serienfertiger ticken – von der Kalkulation bis zum Cash-Zyklus. Doch jenseits dieser Unterschiede braucht jedes Werk dasselbe Grundgerüst: klare Kennzahlen, einen festen Meeting-Takt und eine Fehlerkultur, die Probleme schonungslos sichtbar macht. Genau dafür haben wir unser BAVARIA Operating System entwickelt. Das nächste Kapitel zeigt, wie dieses System in drei einfachen Bausteinen funktioniert und warum es zum Herzschlag aller zukünftigen Turnarounds geworden ist.

Turnarounds in der Serienproduktion/Fallstudie: Lose Flaschenhalter und ein Showdown am Zürcher Flughafen (Teil 1)

Die drei Schwachstellen der Serienproduktion

Den größten gesellschaftlichen Stellenwert erreichten wir mit unseren Übernahmen von Serienlieferanten – Unternehmen mit oft mehreren Tausend Mitarbeitenden, die in hoher Stückzahl Teile produzierten, meist für die Automobilindustrie. Von der Mitarbeiterzahl und dem Umsatzvolumen her waren dies unsere größten Übernahmen. Hier erlebten wir unsere größten Rückschläge – aber auch unsere bedeutendsten Erfolge.

Die Serienproduktion in Europa ist besonders krisenanfällig und bietet damit ein hohes Potenzial für 1-€-Transaktionen:

  • Hoher Fixkostenblock: Serienfertigung erfordert erhebliche Investitionen in Maschinen, Werkzeuge und Personal. Bei Nachfragerückgang entstehen schnell hohe Verluste.

  • Margenschwaches Geschäft: Der Preisdruck der OEMs ist enorm. Viele Zulieferer arbeiten mit EBIT-Margen von unter 3 %. Schon geringe Volumenschwankungen können zu Verlusten führen.

  • Abhängigkeit von Einzelkunden: Viele Zulieferer hängen zu über 70 % von ein oder zwei OEMs ab. Fällt der Hauptkunde weg, ist das Geschäftsmodell schnell nicht mehr tragfähig.

Hinzu kommt der technologische und regulatorische Strukturwandel:

  • Elektromobilität und Digitalisierung verdrängen klassische Komponenten wie Gussteile und Abgasanlagen – viele Produkte werden schlicht nicht mehr gebraucht.

  • Steigende Anforderungen an Software und Elektronik überfordern viele traditionelle Zulieferer.

  • ESG-Druck und steigende Energiekosten machen CO₂-intensive Prozesse zunehmend unattraktiv.

Chancen aus Käufersicht

Für uns als Übernehmer bieten solche Unternehmen dennoch enormes Potenzial: Dank hoher Umsätze bedeutet jede erfolgreiche Maßnahme „eine Null mehr“ beim Hebel. Forderungen gegenüber OEMs sind meist werthaltig und können zur Finanzierung genutzt werden – oft mehrere Mio. € an Liquidität, die Zeit für die Sanierung verschaffen.

Fallstudie: Lose Flaschenhalter und ein Showdown am Zürcher Flughafen

Je länger der letzte Abschluss zurückliegt, desto größer wird mitunter die Bereitschaft, auch riskantere Vorhaben einzugehen. Dieser Deal wurde zu unserer teuersten Lernerfahrung, legte aber zugleich den Grundstein für unsere größten Erfolge bei Serienfertigern.

Wir waren jedenfalls sehr stolz, als wir im dritten Jahr unserer Geschäftstätigkeit den Automobilzulieferer Paulmann & Crone übernahmen – mit fast 1.000 Mitarbeitenden und einem Jahresumsatz von 100 Mio. €.

Im Kaufvertrag versprachen wir der Schweizer Verkäuferin, in den ersten drei Monaten keine Insolvenz anzumelden. Auch darüber hinaus übernahmen wir Haftungen für Vermögensschäden. Im Gegenzug stattete die Verkäuferin das Unternehmen mit acht Mio. € aus, um erwartete Verluste zumindest teilweise aufzufangen.

Was sollte da schon schiefgehen?

Noch am Tag der Übernahme beglich die Geschäftsleitung alle Forderungen der ehemaligen Holding und der nicht verkauften Schwestergesellschaften – die Kasse war plötzlich um die Hälfte leer. Wir setzten daraufhin einen ehemaligen McKinsey-Berater als neuen Geschäftsführer ein, der uns noch weitere Überraschungen bereiten sollte.

Leider hatten wir den schwachen Auftragseingang übersehen. Die Wachstumszahlen der letzten Jahre hatten uns getäuscht, und Qualitätsprobleme bei neuen Projekten führten dazu, dass wichtige OEM-Kunden uns von ihrer Lieferantenliste strichen.

Unser neuer Geschäftsführer zeigte seine Liebe zum Detail, als er dem Entwicklungsleiter während eines Werksgangs sagte, dass sein Vorschlag zur Lösung des abfallenden Deckels beim BMW-Flaschenhalter ohnehin nicht funktionieren würde. Ein paar Tage später fuhr er mit seinem Porsche vor und verkündete die Schließung in Emden, dem kleinsten von vier Standorten. Die Mitarbeiter traten daraufhin in einen unbefristeten Streik.

Die Lage eskalierte schnell, und ich erhielt wütende Anrufe in München. Die Produktion bei Volkswagen, unserem wichtigsten Kunden, drohte stillzustehen, da unsere Teile fehlten.

Wir entschieden uns, den Geschäftsführer zu entlassen. Doch noch am letzten Tag der vereinbarten 90-Tage-Frist meldete er Insolvenz an – für uns völlig überraschend. Wir standen vor der Frage, welche Ansprüche die Verkäuferin gegen uns geltend machen konnte.

Wie kommen wir aus dieser Falle wieder heraus? Mehr nächste Woche...

Montag, 3. November 2025

Fallstudie: Rund-um-die-Uhr-Dienst mit Betriebsrat?

Die Fallstudie zeigt, wie schwer es ist, ein mittelständisches IT-Servicegeschäft profitabel zu führen, wenn Fixkosten, ein starker Betriebsrat und hohe Kundenansprüche aufeinandertreffen. Und wie schnell vermeintlich gute Exit-Optionen sich in Luft auflösen können.

Ein riskanter Einsatz

Unser vierter Unternehmenskauf im Jahr 2004 war Neef IT Solutions AG. Für diese Firma haben wir zum ersten Mal wirklich eigenes Geld eingesetzt: 1,4 Mio. € – das ganze Geld, das wir bis dahin gemeinsam verdient hatten! Die Firma arbeitete an der Gewinnschwelle und unsere Anteile hatten somit höchstens einen Optionswert.

Neef IT brachte zwar rund 2 Mio. € Liquidität mit. Dieses Geld durften wir aber nicht einfach zur Tilgung des Verkäuferdarlehens verwenden – das Verbot der ‘Financial Assistance’ untersagt, dass ein Unternehmen seinen eigenen Erwerb finanziert. Unsere Lösung: Wir verschmolzen die Zwischenholding mit Neef IT, sobald der Betriebsrat zugestimmt hatte, und führten die Mittel anschließend als zulässige Darlehensrückzahlung ab.

Ganz reibungslos lief das nicht. Beim Handelsregister erklärte uns der Richter, die Verschmelzung erfordere die Zustimmung des Betriebsrats. Also präsentierten wir das Vorhaben als willkommene Chance, den ungeliebten Firmennamen zu ändern – ein Wunsch, den die Belegschaft ohnehin hatte. Mit diesem Argument erhielten wir das notwendige Votum.

Widerstand gegen unsere Strategie

Solche Finanzstrukturen erklären, warum Private-Equity-Investoren oft in der Kritik stehen: Wird Fremdkapital aufgenommen, nur um es anschließend an die Gesellschafter auszuschütten, kann das ein Unternehmen empfindlich schwächen. Unser damaliger Geschäftsführer sah das genauso – er wollte die Liquidität im Betrieb halten und war von unserem Plan alles andere als begeistert.

Überhaupt stellten wir fest, dass es in all unseren Firmen immer wieder schwierig war, Gewinne an die Gesellschafter auszuzahlen. Ein entsprechender Beschluss war schnell gemacht, aber bis das Geld tatsächlich ausgezahlt wurde, gab es oft lange Diskussionen.

Unser Eindruck verfestigte sich, dass der Vorstand – trotz aller bisherigen Sanierungserfolge – zu sehr auf Konsens bedacht war. Also entschied ich mich, temporär die Geschäftsleitung zu übernehmen. Ich erinnere mich an drei Monate, in denen ich täglich im McDonald’s nebenan saß, einen Fish Mac mit Salat aß und vergeblich nach neuen Aufträgen suchte.

Personalkosten runter mit Betriebsrat?

Neef IT installierte Netzwerke und Kassensysteme für Geschäfte und Fabriken. Die Kunden verlangten Service rund um die Uhr. Der Betriebsrat bestand darauf, dass jede Bereitschaftsstunde als normale Arbeitszeit bezahlt wurde. Das machte unsere Personalkosten sehr hoch – aber um langfristig Gewinne zu machen, hätten wir diese Kosten senken müssen.

Als es zur Entscheidung kam, plädierte der Betriebsrat am Hauptsitz mit über 130 Mitarbeitern gegen Lohnkürzungen und stimmte stattdessen 13 Entlassungen zu. Er selbst genoss Kündigungsschutz, während er von den Lohnkürzungen persönlich betroffen war. In der viel kleineren Niederlassung in Hannover zeigte sich der Betriebsrat dagegen solidarisch und wollte keine Kollegen entlassen.

Bei den Gesprächen mit dem Betriebsrat ging es nicht nur darum, wie viele Arbeitsplätze gestrichen werden sollten, sondern auch darum, wie sicher die restlichen Jobs in Zukunft sein würden. Gerade wenn ein Unternehmen saniert werden muss, arbeitet der Betriebsrat oft mit der Geschäftsführung zusammen, um das Unternehmen langfristig zu retten. Ein kluger Sanierungsplan sollte dabei immer etwas Spielraum für Verhandlungen lassen, damit der Betriebsrat später gegenüber den Mitarbeitern zeigen kann, was er für sie erreicht hat.

Der gescheiterte Verkauf

Auch nachdem wir einen erfahrenen IT-Manager als Geschäftsführer eingestellt hatten, wurde der Umsatz nicht besser. Es zeigte sich, dass ein kleiner IT-Dienstleister kaum Gewinne machen kann, wenn 9 von 130 Mitarbeitern als Betriebsrat unkündbar sind und wenig zur Wertschöpfung beitragen. Jede Bereitschaft oder Dienstreise verursachte hohe Überstundenkosten und insgesamt waren wir einfach zu klein, um überall in Deutschland ständige Bereitschaft anbieten zu können. Am Ende beschlossen wir, die Firma zu verkaufen.

Weil wir in der Vertraulichkeitsvereinbarung kein Abwerbe- oder Anstellungsverbot verankert hatten, konnte der erste Kaufinteressent unser komplettes Vertriebsteam abwerben. Uns blieb am Ende nichts anderes übrig, als die Firma erneut für einen symbolischen 1 Euro zu veräußern.

Nächste Woche adressieren wir Turnarounds in der Serienproduktion.

Montag, 27. Oktober 2025

Fallstudie: Küchen im Direktvertrieb

Lebt ein Geschäftsmodell von vielen kleinen Aufträgen, ist ein funktionierender Vertrieb entscheidend. Diese Fallstudie zeigt, wie der Direktvertrieb über eigene Läden zur Belastung wurde – und warum hohe Fixkosten kaum Spielraum für Fehler lassen.

Schwindende Margen in einem harten Markt

Im September 2004 haben wir die Firma Alma Küchen übernommen. Sie hat Küchen nicht nur selbst hergestellt, sondern auch direkt in ihren eigenen Läden verkauft. Die große Nachfrage nach neuen Küchen, die es nach der Wiedervereinigung gab, war aber längst vorbei, und immer weniger Leute kauften Küchen. Weil Ikea immer mehr zum Konkurrenten wurde und die Preise im Markt sanken, wurde es für uns immer schwieriger, mit unseren Küchen genug zu verdienen.

Wenn wir eine Küche nicht sofort beim Kunden einbauen konnten – zum Beispiel, weil eine Schraube fehlte oder ein Schrankteil die falsche Größe hatte – mussten unsere Monteure noch einmal extra hinfahren. Weil die zusätzlichen Anfahrten und Montagestunden nicht berechnet werden konnten, fraßen sie unsere komplette Marge auf – jede betroffene Küche rutschte am Ende ins Minus.

Hohe Fixkosten und kein Ausweg

Wir haben mehrmals die Geschäftsführung ausgetauscht und verschiedene Strategien ausprobiert: Mal wollten wir teurere, mal günstigere Küchen anbieten – aber es half alles nichts. Das Geschäft brachte einfach nicht genug Gewinn ein, um alle festen Kosten wie Miete, Löhne und die Produktion zu decken. Unsere eigenen 13 Küchenstudios verkauften zu wenig, damit sich das Ganze lohnte.

Außerdem konnten wir mit den günstigen Ikea-Küchen, die in Osteuropa produziert wurden, preislich nicht mithalten. Die Kunden wollten zwar Qualität, aber für das „Made in Germany“-Label wollten sie einfach keinen Aufpreis zahlen.

Der Skandal um den Geschäftsführer

Dann bekamen wir plötzlich einen merkwürdigen Brief von einem Mitarbeiter: Es war ein Zeitungsartikel über einen Geschäftsführer, der zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden war, weil er Geld entnommen hatte. Der Name stand nicht dabei. Wir waren verwundert und riefen sofort unsere Buchhalterin an. Sie meinte, es sei nichts Besonderes passiert – nur ein Darlehen über 200.000 Euro sei an den Geschäftsführer ausgezahlt worden. Das hätten wir sogar selbst genehmigt, denn wir hatten das Fax dafür unterzeichnet.

Wir riefen daraufhin direkt den Geschäftsführer an und stellten ihn zur Rede. Er versprach, das Geld so bald wie möglich zurückzuzahlen. Unser Anwalt riet, einen Rückzahlungsplan zu machen. Wir aber haben ihn stattdessen angezeigt. Es stellte sich heraus, dass der Geschäftsführer schon einmal wegen so einer Sache verurteilt worden war. Er musste schließlich für vier Jahre ins Gefängnis. Das Geld bekamen wir nie wieder.

Endstation Insolvenz

Auch der neue Geschäftsführer konnte das Unternehmen nicht mehr retten. Die Umsätze gingen weiter zurück und auch mit Sparmaßnahmen kamen wir nie richtig aus den roten Zahlen heraus. Am Ende blieb uns nichts anderes übrig, als Insolvenz anzumelden.

Warum die Sanierung bei Alma Küchen scheiterte

  • Direktvertrieb über großflächige Studios: Hohe Fixkosten (Miete + Personal) fraßen den Rohertrag.
  • Eigenproduktion erhöhte die Managementkomplexität: Ohne spürbaren Kostenvorteil.
  • "Made in Germany" brachte keinen Preisaufschlag: Kunden zahlten keinen Aufpreis für die Qualität.
  • Preisdruck durch IKEA und Onlinehändler: Margen schrumpften stetig.

Lektion: Ein klarer Preispunkt ist unverzichtbar, um die Fixkosten eines Studionetzes zu decken – ohne ihn bleibt selbst ein gut geführter Küchenhändler nicht wettbewerbsfähig.

Nächste Woche beschreiben wir, ob sich ein IT-Dienstleister einen 24 Stunden/7 Tage Dienst mit Betriebsrat leisten kann.

Montag, 20. Oktober 2025

Fallstudie: Ausflug in den Großanlagenbau

Der Großanlagenbau wirkt auf den ersten Blick planbar – ist es aber oft nicht. Komplexe Verträge, lange Projektlaufzeiten und hohe Materialkosten machen das Geschäft anfällig für Fehler mit großer Hebelwirkung. Diese Fallstudie zeigt, wie sich ein vielversprechender Einstieg ins Gegenteil verkehren kann.

Ein vielversprechender Start

Im Sommer 2004 kauften wir die Firma Langbein + Engelbracht (L+E), die große Anlagen für die Industrie baut. Anfangs lief alles rund: Wir übernahmen Maschinen, die noch nicht ganz fertig waren, aber deren Baukosten von der Vorbesitzerin bezahlt worden waren. Im zweiten Halbjahr konnten wir diese Anlagen dann an Papierfabriken und andere Kunden ausliefern – und so die Einnahmen dafür kassieren.

Ein Knackpunkt beim Kauf: Die Bürgschaften

Die Kunden zahlten einen Teil des Preises schon bei der Bestellung, wollten aber eine Sicherheit dafür, dass sie ihr Geld nicht verlieren, falls die Firma pleitegeht. Auch für die Garantie nach der Lieferung (falls später etwas kaputtgeht) wollten sie abgesichert sein. Die Vorbesitzerin hatte dafür noch persönlich gebürgt.

Wir erklärten, dass wir nicht genau wissen konnten, welche Verpflichtungen aus den alten Aufträgen noch auf uns zukommen. Deshalb wollten wir nur für neue Aufträge die Verantwortung übernehmen – und das hat die Verkäuferin am Ende auch akzeptiert.

Um eine persönliche Rückbürgschaft zu vermeiden, hinterlegten wir für jede neue Bestellung Sicherheiten bei Bank und Kautionsversicherern – eine sogenannte Avallinie. Das dort gebundene Kapital fehlte uns allerdings im laufenden Geschäft.

Neuer Führungsstil, neue Erfolge

Zunächst ließen wir den übernommenen Geschäftsführer gewähren – samt der Extravaganz, seinen Jaguar in der Firmengarage abzustellen. Doch mit der Zeit wurde deutlich, dass nicht genug an der Kostenschraube gedreht wurde. Beim Betriebsrundgang erlebten wir, wie der Geschäftsführer Mitarbeiter lautstark anfuhr, während diese untätig in der Halle standen. Doch die Belegschaft reagierte gelassen – mit dem Sprichwort: „Hunde, die bellen, beißen nicht.“

Wir entschieden uns, die Führung zu wechseln. An einem Wochenende machten wir mit den Bereichsleitern Bewerbungsgespräche für die neue Geschäftsführung. So stellten wir sicher, dass auch die Abteilungsleiter mit dem neuen Chef einverstanden waren. Der neue Geschäftsführer machte seine Sache sehr gut: Er sorgte dafür, dass alle Nacharbeiten ordentlich dokumentiert wurden. Dadurch konnten wir Zusatzleistungen auch wirklich abrechnen, was die Gewinne steigerte. Einige Jahre lief das Geschäft so gut, dass wir sogar schöne Dividenden bekamen.

Das böse Erwachen und die Insolvenz

Doch später, als wir die Firma verkaufen wollten, kam das böse Erwachen: Ein Mitarbeiter hatte einem Kunden eine Anlage aus teurem Edelstahl zugesagt, ohne dass er die Mehrkosten beachtete. Der Kunde bestand auf Edelstahl und wollte keine billigere Lösung akzeptieren. Dadurch entstanden hohe Verluste.

Als der Umsatz weiter zurückging, wurde die Situation immer schlechter, und am Ende mussten wir leider Insolvenz anmelden. Die Lektion: Im Großanlagenbau reicht ein guter Ergebnisbeitrag nicht aus – eine unüberlegte Zusage kann alles kippen.

Erfolgsprinzipien im Anlagenbau

  • Nacharbeiten lückenlos dokumentieren: Sauber erfasste Mehrleistungen lassen sich abrechnen und sind oft die stillen Ergebnistreiber eines Projekts.
  • Vier-Augen-Prinzip bei jeder Zusage: Jede Material- oder Lieferzusage sowie jede Vergabe werden erst gültig, wenn sie ein zweiter Entscheider gegenzeichnet – abgestuft nach klaren Unterschriftsgrenzen.
  • Leise Führung schlägt lautes Auftreten: Nachhaltige Sanierer überzeugen durch Fakten, Disziplin und Respekt, nicht durch Lautstärke.
  • "Buy-in" vor Amtsantritt sichern: Neue Geschäftsführer stellen wir erst ein, wenn alle Bereichsleiter die Personalie mittragen – so ziehen Technik, Vertrieb und Produktion von Beginn an in eine Richtung.

Diese vier Prinzipien senken Kosten, reduzieren Fehlentscheidungen und schaffen die Basis, um auch komplexe Großprojekte profitabel zu steuern.

Nächste Woche unternehmen wir einen Ausflug in die Produktion und den Vertrieb von Küchen!

Montag, 13. Oktober 2025

Fallstudie: Explodierende Kaffeebecher

Projektgeschäft – Chancen und Herausforderungen

Im zweiten Jahr nach der Gründung übernahmen wir vier Unternehmen, die vor allem Aufträge in Einzelfertigung abwickelten. Damals steckte die deutsche Wirtschaft mitten in einer anhaltenden Krise. Besonders im Anlagenbau führten stagnierende Umsätze dazu, dass die Fixkosten vieler Betriebe nicht mehr gedeckt waren – die Verluste stiegen.

Das Projektgeschäft birgt hohe Risiken: Jeder Auftrag muss individuell geplant und kalkuliert werden. Ein kleiner Fehler kann sich teuer auswirken, vor allem wenn wir an feste Zusagen gegenüber Kunden gebunden waren. Die Produktion lässt sich in solchen Fällen kaum automatisieren – dafür kommt es umso mehr auf eine saubere Lagerführung, ein strukturiertes Bestellwesen und gut abgestimmte Abläufe in der Montage an.

Aber das Projektgeschäft hat auch seine Vorteile: Wenn wir die Verlustbringer einmal identifiziert und aus dem System entfernt haben, lassen sich neue Aufträge mit besserer Kalkulation abwickeln. Schon ein kleiner Anstieg im Auftragseingang kann ausreichen, um wieder deutlich profitabel zu werden. Und weil die Fertigung meist mit einfachen Mitteln auskommt, braucht es kaum neue Investitionen. Der vorhandene Maschinenpark lässt sich lange nutzen – was nach Material- und Personalkosten übrig bleibt, ist dank der niedrigen Abschreibungen Gewinn.

Rückblickend war der Einstieg in das Projektgeschäft für uns eine wertvolle Schule. Hohe Risiken, aber auch schnelles Lernpotenzial und große Hebel – wenn wir bereit sind, konsequent zu führen und auf Details zu achten.

Fallstudie: Explodierende Kaffeebecher

Manchmal beginnt eine Sanierung mit einem 5-Mio.-Euro-Scheck – und endet mit einem Kaffeebecher, der sich selbst erhitzt. Diese Fallstudie zeigt, wie technischer Mut, klare Führung und harte Verhandlungen ein fast gescheitertes Projektgeschäft doch noch zum Erfolg führen können.

Gut ein Jahr nach unserer Gründung übernahmen wir die Firma Hamba. Sie stellte Verpackungsmaschinen her, also zum Beispiel Maschinen, die Becher befüllen und verpacken. Die Firma erzielte rund 30 Mio. € Umsatz – bei knapp 10 Mio. € Verlust!

Wir zahlten den symbolischen Euro, doch damit nicht genug: Wir erhielten zusätzlich einen Scheck über 5 Mio. € – allerdings lautete der 5-Mio.-Euro-Scheck auf die Gesellschaft, nicht auf uns persönlich. Entspannt zurücklehnen konnten wir uns also noch lange nicht.

Der Verpackungsmaschinenhersteller hatte in seinem Expansionsdrang Aufträge angenommen, die zuvor niemand erfolgreich umsetzen konnte. Die Vorbesitzerin war erleichtert, diese Verpflichtungen endlich loszuwerden. Eines der ehrgeizigsten Projekte war eine Maschine, die Kaffeebecher herstellen und befüllen sollte, die sich auf Knopfdruck selbst erhitzen konnten!

Mut zur Veränderung: Von alten Maschinen zu neuer Technik

Um die Firma wieder auf die Beine zu bringen, haben wir einen neuen Geschäftsführer eingestellt. Er war Maschinenbauingenieur und hatte vorher bei einer Unternehmensberatung gearbeitet. Seine Aufgabe war es, mit den Kunden zu verhandeln und unrealistische Versprechen aus der Vergangenheit loszuwerden. Ein Vorteil war dabei, dass wir nun unabhängig von der alten Mutterfirma waren und die Bilanz – also alles, was die Firma besitzt und schuldet – nicht mehr so groß war. Dadurch waren wir flexibler in den Verhandlungen.

Nach den Verhandlungen hatten wir zwar weniger Umsatz, aber auch deutlich weniger Verluste. Am Ende haben wir es geschafft, bei plus/minus Null rauszukommen.

Allerdings gab es immer noch ein Problem: Die Maschinen waren technisch veraltet. So wurden alle Verpackungsvorgänge über eine große mechanische Welle gesteuert. Das machte sie anfällig für Fehler und die Montage war dadurch schwierig und aufwändig.

Deshalb suchten wir nach einer neuen Lösung. In der Entwicklungsabteilung fanden wir eine Zeichnung für eine moderne Maschine, die mit elektrischen Sensoren und Modulen arbeiten sollte – also viel moderner und flexibler. Die Techniker waren erst skeptisch, ob das überhaupt funktionieren würde. Trotzdem entschieden sich der neue Geschäftsführer und der technische Leiter, das Risiko einzugehen und die neue Technik auszuprobieren. Sie arbeiteten dafür auch mit externen Entwicklern zusammen.

Der erfolgreiche Turnaround

Nach gut zwei Jahren war es geschafft: Die neue Technologie funktionierte, und wir verkauften die erste Anlage an einen Joghurthersteller. Die Investition zahlte sich aus – schließlich veräußerten wir Hamba für rund 18 Mio. € an einen Wettbewerber. Das war unser erster großer Turnaround-Erfolg.

Nächste Woche schildern wir unseren ersten Ausflug in den Großanlagenbau und was dabei schieflief.


Sonntag, 5. Oktober 2025

Fallstudie: Wie wir uns auf eine mögliche Insolvenz vorbereiten – Ein Praxisblick

Wenn wir ein Unternehmen praktisch „geschenkt“ bekommen, droht oft schon bald die Pleite – vor allem, wenn wir nichts ändern und die alte Geschäftsführung weitermacht wie bisher. Das größte Problem ist fast immer die Liquidität: Auf dem Konto fehlt schlicht das Geld, um alle Rechnungen zu bezahlen. Deshalb muss die neue Geschäftsleitung von Tag 1 an genau verfolgen, wie viel Geld täglich hinein- und hinausfließt.

Liquidität permanent im Blick

In der Startphase arbeiten wir mit rollierenden Sechs-Wochen-Plänen und projizieren jede Woche den Cash-Bedarf für die kommenden sechs bis zwölf Monate. Dabei kalkulieren wir realistisch, aber nicht übertrieben pessimistisch: Ohne frische Bestellungen läuft bei einem Maschinenbauer der Auftragsbestand aus – dann fehlen Deckungsbeiträge, während die Fixkosten weiterlaufen.

Rechtliche und finanzielle Risiken nach einer Insolvenz

Neben finanziellen Verlusten birgt eine Insolvenz auch rechtliche Risiken – vor allem, wenn Zahlungen an Gesellschafter oder Geschäftsführung nicht eindeutig dokumentiert oder vertraglich abgesichert sind.

Zahlungen ohne Vertrag

Der Insolvenzverwalter untersucht zuerst alle Geldflüsse, die an Gesellschafter oder Geschäftsführung geflossen sind, und legt darüber dem Gericht ein Gutachten vor. Fehlt eine eindeutige vertragliche Grundlage – etwa ein schriftlicher Beratungs- oder Geschäftsführervertrag – können solche Überweisungen zurückgefordert werden. Im schlimmsten Fall steht sogar der Vorwurf der Untreue im Raum.

Wir haben das einmal teuer gelernt: Beim ersten 1-€-Deal zahlten wir uns eine Management Fee aus, ohne sie sauber zu vereinbaren. Der Insolvenzverwalter verlangte das Geld zurück, und ein strafrechtliches Verfahren wurde nur mit viel Aufwand eingestellt. Seitdem schließen wir für jede Honorierung einen ausführlichen Vertrag ab – Leistungsumfang, Vergütung, Fälligkeit und Kontrollrechte klar geregelt.

Fristgerechter Insolvenzantrag

Nach deutschem Recht muss die Geschäftsführung spätestens drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung Insolvenz beantragen.

  • Zahlungsunfähigkeit liegt in der Praxis vor, wenn mindestens zehn Prozent der fälligen Verbindlichkeiten nicht mehr beglichen werden können und keine kurzfristige Besserung absehbar ist.
  • Überschuldung ist gegeben, wenn das Vermögen geringer ist als die Schulden und keine positive Fortführungsprognose besteht.

Versäumt die Geschäftsführung diese Frist, drohen persönliche Haftung und strafrechtliche Konsequenzen. Darum engagieren wir in kritischen Phasen immer einen auf Insolvenzrecht spezialisierten Anwalt, der uns tagesaktuell begleitet und jede Stundungsvereinbarung schriftlich fixiert.

Unser Grundsatz lautet: Lieber einen Tag zu früh als zu spät – schon um den Insolvenzverwalter nicht von Beginn an gegen uns aufzubringen.

Gesellschafterdarlehen und Rangrücktritte

Konzerne finanzieren Tochtergesellschaften häufig über Gesellschafterdarlehen. Beim Carve-out übernehmen wir solche Kredite oft mit. Gefährlich wird es, wenn wir Darlehen während der Krise zurückführen oder in Eigenkapital umwandeln, ohne die richtige Reihenfolge der Beschlüsse einzuhalten. Rückzahlungen, die nicht klar nach Rangrücktritt oder Kapitalherabsetzung erfolgen, fechtet der Insolvenzverwalter regelmäßig an. Deshalb achten wir darauf, dass zunächst das Stammkapital ordnungsgemäß angepasst wird, bevor ein Gesellschafterdarlehen zurückgeführt wird.

Wann kehrt endlich Ruhe ein?

Nach den ersten hundert Tagen kehrt endlich Ruhe ein: Die Liquidität reicht wieder, Lieferanten liefern ohne Vorkasse, und das Team hat Vertrauen gefasst. Jetzt stellt sich die größere Frage: Wollen wir weiter Feuerlöscher spielen – oder ein skalierbares Sanierungsmodell aufbauen, das Krisenfälle systematisch in stabile Betriebe verwandelt?     

Nächste Woche mehr dazu!


Samstag, 27. September 2025

Fallstudie: Modeschau in Düsseldorf

Im Sommer 2003 übernahmen wir Louis Féraud, eine traditionsreiche Luxusmarke, von der Escada-Gruppe. Der symbolische Kaufpreis betrug einen Euro; als Anlaufhilfe stellten uns die Verkäufer rund zwei Millionen Euro Liquidität zur Verfügung. Auf dem Papier schien das Geschäft verlockend. Doch schon die ersten Kennzahlen ließen erahnen, wie schwer die Aufgabe werden würde: Bei gut vierzig Millionen Euro Umsatz verlor das Unternehmen jährlich rund zehn Millionen.

Mein erster Eindruck: Stil über Substanz

Bereits mein erster Rundgang durch die Düsseldorfer Zentrale machte deutlich, warum. Das Büro des Fashion-Direktors war stilvoll ganz in Weiß gehalten – von den Möbeln über den Teppich bis zur Orchidee auf dem Schreibtisch. Während ich auf ihn wartete, debattierte er mit seinem Team leidenschaftlich darüber, ob die kommende Kollektion in Smaragd- oder Moosgrün erscheinen solle. Niemand sprach über Margen, Liefertermine oder Liquiditätsbedarf.

Das gleiche Bild zeigte sich später im Münchner Flagship-Store in der Theatinerstraße. Zwei Verkäuferinnen vertrieben sich die Zeit im leeren Laden, und selbst ein üppiger Hausrabatt überzeugte meine Frau nicht, ein Kleidungsstück zu kaufen. Féraud strahlte nach außen noch Grandezza aus, doch ihre Kollektionen wirkten altbacken; die Marke hatte den Anschluss an moderne Kundinnen verloren.

Die tückische Mechanik der Modebranche

Als wir tiefer einstiegen, lernten wir die tückische Mechanik des Geschäfts kennen. Eine neue Kollektion wird bis zu 18 Monate vor der Auslieferung entworfen und zwölf Monate im Voraus bei asiatischen Lieferanten in Auftrag gegeben. Diese fordern Bürgschaften oder hohe Anzahlungen – und Banken stellen angeschlagenen Modehäusern solche Garantien nur ungern aus. Damit saß Féraud in der klassischsten aller Zwickmühlen: Ohne frische Ware keine Kundschaft, ohne Banklinien keine frische Ware.

Ein verhängnisvoller Sparkurs

Unser Sanierungsplan setzte auf schnelle Kostensenkung: Wir kappten fast das gesamte Marketingbudget, sagten Events ab, verschlankten die Kollektionserstellung und reduzierten unsere Overhead-Kostenbasis um rund zehn Millionen Euro. Die Fixkosten für Mieten, Personal und Produktion blieben jedoch hoch – und der Sparkurs ging zulasten des Luxusimages. Jede abgesagte Modenschau raubte Féraud Strahlkraft, die Kreativität erlahmte, die Kollektionen verblassten – die Umsätze sanken schneller, als die Einsparungen greifen konnten.

Hinzu kam der wachsende Wettbewerb aus dem E-Commerce: Immer mehr Kundinnen bestellten Designermode online; im stationären Handel konnten sich inzwischen fast nur noch echte Luxusmarken profitabel halten.

Das schnelle Ende

Nach wenigen Monaten war klar, dass unsere Finanzreserve aufgebraucht sein würde, lange bevor die nächste Kollektion nennenswert Cash in die Kasse spülen konnte. Wir meldeten Insolvenz an. Es blieb bei einem kurzen Gastspiel in der Haute Couture.

Kurz zusammengefasst: die Lektionen von Féraud

  • Lange Vorfinanzierungen: Die Modebranche verlangt hohe Vorinvestitionen. Ohne sichere Bankgarantien ist ein Turnaround kaum zu stemmen.
  • Der Sparkurs als Sargnagel: Reiner Sparkurs zerstört bei Luxusmarken oft gerade das, wofür Kundinnen zahlen – das Image und die Strahlkraft.
  • Überflüssige Marken: Viele Marken sind schlicht überflüssig geworden. Dem Weggang der Kaufkraft ins Internet konnte der stationäre Handel kaum noch entgegenwirken.

Manchmal ist eine Insolvenz unvermeidbar. Nächste Woche beantworten wir die Frage: Wie bereiten wir uns am besten darauf vor?


Samstag, 20. September 2025

Fallstudie: Können wir jedem Schwaben vertrauen?

Wir wollten glauben, was wir sahen: ein bodenständiger Maschinenbauer, der sein Lebenswerk übergeben wollte. Doch wie so oft bei 1-€-Deals zeigte sich beim folgenden Fall erst nach der Unterschrift, was wirklich im Unternehmen steckte – und was nicht.

Der schwäbische Unternehmer und sein Lebenswerk

Der Inhaber eines mittelständischen Maschinenbauunternehmens, spezialisiert auf Biegemaschinen für Metallbleche, machte auf uns sofort einen soliden Eindruck: sparsam, sachlich, diszipliniert. Eben so, wie wir uns einen klassischen schwäbischen Unternehmer vorstellen. Auch das persönliche Treffen verlief angenehm. Beim Abendessen mit ihm und seiner Frau, einer Ärztin, vermittelte das Paar den Eindruck von Bodenständigkeit, Integrität und einer über Jahrzehnte hinweg geführten, stabilen Firma.

Ein 1-Euro-Deal mit versteckten Lasten

Wir erwarben das Unternehmen für einen symbolischen Euro – auf den ersten Blick ein sehr gutes Geschäft. Allerdings verpflichteten wir uns, einen Kredit in Höhe von 2 Millionen Euro über mehrere Jahre zu tilgen, den der Unternehmer seiner eigenen Firma gewährt hatte. Er zeigte uns stolz eine Excel-Tabelle: Seit 10 Jahren, so sagte er, hätte die Firma jedes Jahr 1 Million Euro Gewinn gemacht – bei gleichbleibendem Umsatz von 10 Millionen Euro. Nur in den letzten beiden Jahren gab es kleinere Verluste.

Die verborgene Wahrheit

Wir erinnerten uns noch, dass uns beim Kauf der Hering Wärmetauscher die Verkäuferin am Ende gefragt hatte, ob wir nicht einen Job für ihren Ehemann hätten. Wir stellten ihn dann als Geschäftsführer in dieser neuen Firma ein. Sein erster Arbeitstag begann mit einer Überraschung: Als er die Schreibtischschublade in seinem neuen Büro öffnete, kamen ihm stapelweise Rechnungen entgegen – alle ungebucht. Der frühere Besitzer hatte die Firmenpost persönlich geöffnet und Rechnungen nur dann an die Buchhaltung weitergeleitet, wenn genügend Geld in der Kasse war.

Nicht ganz so überrascht waren wir, als wir erfuhren, dass der alte Chef kurz vor dem Verkauf seinen Porsche für nur einen Euro aus der Firma „gekauft“ hatte. Wir hätten den Vertrag anfechten oder neu verhandeln können, entschieden uns aber, es trotzdem zu versuchen und die Firma zu retten.

Unverkäufliche Maschinen und der Weg in die Insolvenz

Kurz darauf merkten wir, dass vier große Maschinen gebaut worden waren, ohne dass es überhaupt Kunden dafür gab. Angeblich waren sie nur zur „Vorführung“ gedacht, aber eigentlich sollte so das Betriebsergebnis schöner aussehen, als es wirklich war. Die bilanzierte Leistung verbesserte zwar das Ergebnis, erklärte aber auch den hohen Liquiditätsbedarf in der Vergangenheit. Da die Maschinen keine Kundenvorgaben erfüllten, blieben sie unverkäuflich. Ohne nennenswerten Auftragseingang und mit knapper Liquidität mussten wir wenig später die Insolvenz anmelden.

Warum die Sanierung scheiterte:

  • Geschönte Erfolgszahlen: Ungebuchte Rechnungen verdecken ein akutes Liquiditätsloch.
  • Nachträgliche Kaufpreisraten (Earn-outs / Verkäuferdarlehen): Sie belasten den Cashflow und mindern die Exit-Perspektive.
  • Das Betrugsrisiko steigt in Krisen und bei Privatverkäufen: Es fehlen wirksame Kontrollmechanismen.
  • 1-€-Privatübernahmen haben deutlich weniger Liquiditätspuffer als Carve-outs aus Konzernen.

Lektion: Prüfe bei 1-€-Deals die Liquidität besonders sorgfältig – versteckte Verbindlichkeiten können dich ruinieren. Im Zweifel: nachverhandeln oder vom Vertrag zurücktreten.

In einer Woche beschreibe ich, wie wir mit unserer vierten Übernahme Schiffbruch in der Modebranche erlitten.

Sonntag, 14. September 2025

Fallstudie: Geld wechseln mit Wärmetauschern?

Manche Investitionen erfordern von uns viel Geduld. Die folgende Geschichte über Hering Wärmetauscher zeigt, wie viel Ausdauer, Improvisation und Führungskraft nötig sind, um ein kleines Industrieunternehmen aus der Verlustzone zu holen.

Ein ungewöhnlicher 1-Euro-Deal

Im Sommer 2003 bekamen wir zum ersten Mal Besuch in unserem Büro. Eine selbstbewusste Dame machte uns ein ungewöhnliches Angebot: Wir sollten ihre Firma in Gunzenhausen für einen symbolischen Euro übernehmen. Außerdem wollte sie uns noch 200.000 Euro in der Firmenkasse lassen. Die einzige Bedingung war, dass das Unternehmen mindestens ein Jahr weiter existiert. 

Warum das Ganze? Die Frau wollte sicherstellen, dass ein ungenutztes Grundstück, das sie an einen Supermarkt verkaufen wollte, rechtlich sauber aus der Firma herausgelöst werden konnte. Falls die Firma pleitegehen würde, hätte der Insolvenzverwalter sonst versucht, das Grundstück zurückzufordern. Zum Glück reichte ihr unser Ehrenwort, dass wir die Firma ein Jahr lang weiterführen.

Ein alter Studienkollege als Retter in der Not

Die Hering Wärmetauscher AG erwirtschaftete damals nur rund 7 Millionen Euro Umsatz, verlor dabei jedoch jedes Jahr etwa 1 Million Euro – kein leichter Startpunkt für uns. Wir setzten einen alten Kollegen aus dem BWL-Studium als Geschäftsführer ein. Er kannte sich zwar nicht mit Wärmetauschern aus, aber die Mitarbeiter vertrauten ihm. Trotzdem war die Lage so schlecht, dass wir den Angestellten zeitweise fast zwei Monatsgehälter schuldeten. Wie haben wir es trotzdem geschafft? 

Mein Studienfreund schaffte es, die Produktion von ungefähr 80 Wärmetauschern im Jahr besser zu organisieren, sodass die monatliche Ausbringung konstanter wurde. Das half dabei, das Umlaufvermögen zu glätten und Spitzen im Kapitalbedarf zu verringern. Außerdem verhandelte er bessere Verträge und vermietete einen Teil der Produktionshalle weiter, was zusätzlich Geld einbrachte. Wir veräußerten das Werkgelände per Sale-and-Lease-back und nutzten die freigesetzte Liquidität, um die Löhne pünktlich auszuzahlen.

Das Problem der Einzelanfertigung

Ein weiteres Problem war, dass jeder Wärmetauscher individuell nach Kundenwunsch gefertigt wurde. Diese Sonderanfertigungen machten alles sehr teuer, und die Firma kam nie wirklich in die Gewinnzone. Erst viele Jahre später, nach mehreren Wechseln in der Geschäftsführung, fanden wir mit Christian Rasch den richtigen Geschäftsführer für die Hering AG. Dank strafferen Managements und der Konzentration auf den Einsatz von Wärmetauschern im Großkraftwerksbau gelang es ihm nach und nach, die operative Gewinnmarge (EBIT) auf stattliche 15 % zu steigern!

Wachstum am Limit

Leider stagnierte der Umsatz in der Zwischenzeit nahezu vollständig. Ein begrenzender Faktor war der Kran in der Produktionshalle, der keine höheren Traglasten bewältigen konnte. Der geplante Neubau einer zusätzlichen Halle scheiterte ebenfalls – es fehlte schlicht an ausreichend qualifizierten Schweißern. Zwar erhielten wir zahlreiche Anfragen für größere Wärmetauscher, aber unsere Kapazitäten reichten einfach nicht aus, um diese Aufträge umzusetzen.

Warum der Turnaround bei Hering Wärmetauscher stockte
  • Einzelfertigung großer Wärmetauscher: Kaum Skaleneffekte, hohe Stückkosten.
  • Kleine Serien: Preisdruck durch die Einkaufsmacht der Kunden.
  • Häufig wechselnde Spezifikationen: Hoher Rüstaufwand, der die Marge drückte.
  • Fehlende qualifizierte Zulieferer: Weitere Kostennachteile.
  • Hallen- und Kranlimit (Traglast max. 10 t): Auftragsgröße gedeckelt, Wachstum blockiert.

Der Erfolg liegt oft im Fokus und in der Kunst, 'Nein' zu sagen. Gerade bei begrenzten Ressourcen ist das essenziell, um Ziele zu erreichen. Ein gutes Beispiel dafür ist unser Hauptkonkurrent: Anstatt sich auf große Wärmetauscher zu konzentrieren, wie wir es taten (wir verkauften die Hering letztes Jahr), setzte er auf die Produktion von Kleinserien – und das an einem kostengünstigeren Standort. So konnte er mit einem anderen Ansatz erfolgreich sein. 

In einer Woche beschreibe ich, wie wir mit unserer dritten Übernahme hinters Licht geführt worden sind.

Der Blog Besser Investieren zieht um:

  https://reimarscholz.substack.com/